LPK-A9

Auf dieser Seite finden Sie die beiden Lappenkeuler - Beiträge “Beruf ohne Berufung” und “Wandel” aus dem Jahre 2004. Beide Textbeiträge können hier direkt gelesen werden oder auch als jeweils eigenständige PDF - Datei heruntergeladen werden.

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Beitrag 1

Lappenkeuler - Brief / Email "Beruf ohne Berufung" vom 30.03.2004

                          
Hallo und einen hellen Gruß.

Meine vor längerem geplante Anfertigung einer Vergleichsliste Eifeldorf /
Stuttgart verbirgt doch erheblich mehr Schwierigkeiten in sich, als ich
ursprünglich glaubte. Wie häufig es aus der Eifel berichtenswerte Dinge
gibt, das kann ich natürlich nicht beurteilen. Man müsste diese
Vergleichmöglichkeit mehr flächenbezogen anlegen, oder? Ich meine das
so, wenn man Stuttgart betrachtet, welches vom Stadtzentrum her einen
Umkreis von vielleicht 25 km abdeckt, da viele zersplitterte Einzelorte am
Rande noch zu Stuttgart zählen, aber auch weil Stuttgart schon eine
ziemliche Fläche abdeckt, deshalb wäre es bei diesem Vergleich sinnvoller,
nicht nur über einen Ort zu berichten oder die Beiträge der Liste damit zu
vervollständigen, sondern einen Ort als zentralen Mittelpunkt eines
Systems zu sehen und dann das Berichtsgebiet auf vielleicht 25 km rund
um diesen Eifelort auszudehnen. Ob das die Sache vereinfachen würde,
weiß ich zwar auch nicht, aber es wäre vielleicht ein Ansatz eine gewisse
Chancengleichheit herzustellen, um zu vermeiden, dass später in einer
vielleicht 4 Meter langen Vergleichsliste die Spalte Stuttgart ständig mit
Beiträgen befüllt ist, während zusammengefasst nur 10 Zentimeter in der
Spalte Eifeldorf beschriftet sind. Käme ein solches Ergebnis heraus, wäre
die Vergleichsliste sinnlos, weil man erkennen müsste, Äpfel mit Birnen
verglichen zu haben. Ich persönlich finde allerdings dieses oft genutzte und
heute schon abgetragen wirkende Zitat als Synonym für einen unsinnigen
oder unpassenden Vergleich selbst teils unsinnig. Warum um alles in der
Welt, sollte man eigentlich nicht Äpfel mit Birnen vergleichen? Äpfel
schmecken ganz anders, sehen ganz anders aus u.s.w. - bei einem fairen
Vergleich geht es ja gerade darum, Unterschiede aufzudecken, egal ob
diese groß oder klein sind, sonst würde man eigentlich gar keinen
Vergleich benötigen und könnte pauschal sagen: "Alles ist gleich!" Was
die Wichtigkeit oder Unwichtigkeit von Inhalten oder Berichtenswertem
angeht, würde ich das sowieso ganz dem Leser überlassen. Warum sollte
man nicht über Dinge berichten, die viele als unwichtig abstempeln? Etwa
nur weil man ständig aus Nachrichtensendungen daran gewöhnt ist, über
Ereignisse mit scheinbar weltpolitischer Tragweite zu berichten? Wer weiß
denn heute, was für uns selbst letzten Endes mehr Tragweite besitzt, die
Streiterei zwischen Staaten oder beispielsweise hier zu Hause nur ein
ungünstiger Windzug, der uns erkranken lässt und wonach wir an einer
simplen Lungenentzündung dahinscheiden? Wichtigkeit ist vor allem eine
Frage der möglichen Auswirkung auf den Betrachter. Ich werde über diese
Sache noch einmal nachbrüten und Ihnen dann neue Erkenntnisse dazu
mitteilen.

Über die Presse selbst, deren Aufgabe es wäre, über andere und über
Ereignisse zu berichten, könnte man oftmals mehr berichten, als es über
den Rest der Welt zu berichten gebe. Das scheint in Eifeldörfern somit
nicht anders zu sein als hier. Früher nannte man es vielleicht freundlich
Zeitungsente, was einem heute jedoch oft aufgetischt wird, müsste man im
Vergleich dazu sicher schon als ausgewachsenen Zeitungsadler
bezeichnen. Nur über die Dinge, die für einen wirklich wichtig sind,
darüber schreibt keiner, anstatt dessen ist die Rede von Oliver Kahns,
Beckenbauers, Verona Feldbuschs, Dieter Bohlens, gar Küblböcks und
anderen Gesellschaftsfiguren, die teils ganz offensichtlich nur vor lauter
Primitivität zu einer Attraktion werden. Solche Wursteimer leben und
wirklich gute Leute, wie der gute, von mir sehr geschätzte Herr Peter
Ustinov sterben, sehr traurig und schade.
Soweit dazu, ich notiere erst ungeordnet einige Punkte, die mir sporadisch
einfallen, die es vielleicht wert wären, verglichen zu werden. Wenn ich
dann eine Seite davon voll habe, übermittle ich Ihnen das einmal. Alles
ohne jeden Zeitdruck und ohne Zwang, und wenn es 2 Jahre dauert, bis
dass diese Seite voll ist. Ich werde zunächst die Einkaufsmöglichkeiten hier
einmal näher unter die Lupe nehmen. Man kauft zwar ständig etwas, aber
eigentlich denkt man ja darüber gar nicht mehr nach. Dabei würde schon
das Nichtvorhandensein einiger spezieller Läden, in denen man besonders
häufig einkauft, das ganze Leben unter Umständen drastisch anders
verlaufen lassen.

Von vielen Leuten aus meinem Bekanntenkreis erhielt ich
Beglückwünschungen zum Kauf meines kleinen Auto, dafür an alle vielen
Dank. Viele hatten nach so langer Auto-Abstinenz meinerseits schon gar
nicht mehr damit gerechnet, dass ich mir jemals wieder ein Auto kaufen
werde. Das lag in meinem Fall ja nur indirekt an mir, eben weil meine
finanziellen Mittel dafür nicht ausreichten und Käufe auf Kredit kommen
für mich grundsätzlich nie in Frage. Wie ich erfuhr, bewerten heutzutage
viele meiner Bekannten ein Auto so ähnlich wie ich. Mit den ganzen
Attributen des Imponiergehabes, der Raserei u.s.w. verbessert sich für den
Fahrer an den Grundfunktionen nichts wirklich wesentliches. Und oft habe
ich den Eindruck, dass ich vielleicht beim gemütlichen Fahren mit meinem
850-Euro-Billigstauto an der Fahrerei mehr Freude habe, als manch ein
anderer mit seiner 80.000-Euro-Luxuskarosse. Schauen Sie nur mal, wie
verbissen und wütend die oft hinter ihrem Lenkrad hängen. Ständig in der
Angst, es könnte einer vorbeigezischt kommen, der ein noch schnelleres,
noch glänzenderes, noch teureres Auto hat. Ich glaube nicht, dass die für
den fast hundertfachen Preis auch nur die doppelte Freude wie ich am Auto
haben. Bei mir beginnt die Reise völlig entspannt und sie endet auch so,
das weiß ich schon vorher, es sei denn, es käme ein Unfall oder ähnlich
unkalkulierbares dazwischen, aber bezogen auf den normalen Alltag ist es
so. Ob mich bei einer Fahrt ein Auto überholt oder 1.000 dies tun, das
schert mich überhaupt nicht. Bestenfalls denke ich noch: der Blöde, jetzt
verheizt er wieder zig Liter Sprit mehr, regt sich auf wie ein Affe, die
ganze Fahrt kostet ihn viel mehr und das nur, um mir zu imponieren, aber
er imponiert mir damit nicht, er interessiert mich nicht einmal! Ich weiß,
dass unterwegs von den PKW 99 % aller anderen Autos schneller sind, als
meines, na und- die meisten davon müssen auch mehr dafür zahlen und das
in einem wesentlich größeren Verhältnis, als wie sie schneller sind. In
Sachen Komfort, gut da könnte man vielleicht einen Kompromiss als
Aussage treffen, der Suzuki ist gewiss schon komfortabler, als es früher
eine 2 CV-Ente war (hatte ich ganz früher mal, war trotz aller
Entbehrungen ein schönes Auto), aber wenn man sehr lange Strecken fährt,
dann wird man Unterschiede in der Strapazierung merken, das räume ich
ein. Vor wenigen Tagen bin ich an einem Stück einmal eine Strecke von
etwa 120 Kilometern gefahren (an den Bodensee), dann merkt man beim
Aussteigen schon etwas den Rücken, in den Luxusschlitten würde man
sicher noch nichts merken. Aber es stört mich gar nicht. Wann fahre ich
schon mal solch lange Strecken, vielleicht zwei mal pro Jahr. Wenn die
Strecke deutlich länger als 120 Kilometer ausfällt, dann mache ich eben
alle 100 Kilometer eine Pause. Meistens schaffe ich es ohnehin nicht, Orte
zu durchfahren, die ich noch nicht kenne. Es kommt bei mir oft ein Drang,
diesen Ort kennen zu lernen, einmal ein paar Schritte durch die Straßen und
Nebenstraßen des Ortes zu tun. Dadurch löst sich das Problem von selbst.
Noch zum Vergleich mit der 2 CV-Ente so sind die wenigen 39 PS vom
Suzuki schon viel, weil die Ente, die ich damals besaß, die hatte sogar nur
23 PS.
Einen anderen Weg, um Autokosten gering zu halten, beschreiten einige
andere Sohis, die seit letzter Woche ebenfalls in unserem Bezirk ihren
Dienst an der Stadt verrichten. Drei Leute teilen sich ein Auto. Derjenige
von denen, der am meisten Gebrauch davon macht, der hat es auf seinen
Namen zugelassen und zahlt 50 % der Fixkosten. Die anderen beiden teilen
sich die restlichen 50 % der Kosten jeweils hälftig. Mit den Tankkosten
haben sie einen komplizierten Weg gefunden, sie aufzuteilen, da blicke ich
nicht so richtig durch. Das klappt aber nur, weil sie den Wagen zu
unterschiedlichen Zeiten benutzen können. Die haben aber ein wesentlich
teureres Auto zusammen gekauft, einen Ford-Fiesta, an dem ich auch mal
Spaß hatte. Der war gemessen am Zustand auch billig, ein Baujahr 1996
mit 65.000 km Laufleistung und kein Rost und ohne Schäden, sogar schon
mit ABS und Schiebedach für 5.500 Euro. So musste der Hauptnutzer
2.750 Euro abdrücken und die anderen beiden jeweils 1.375 Euro. Billiger
kommt man nicht an solch ein Auto. Natürlich haben die einen Vertrag
schriftlich gemacht, der das alles genau regelt, nicht dass nachher einer das
Auto verkauft und alle Knete nur bei sich in die Tasche steckt. Aus Tollerei
kam mir der Gedanke, hätte man eine solche Fahrzeuggemeinschaft mit
meinem Suzuki gegründet, so hätte man sich ab 212,50 Euro daran
beteiligen können und wäre mit monatlichen Fixkosten ab 5,75 Euro dabei
gewesen. Aber am Schluss ist es mir persönlich so lieber, wie es jetzt ist,
wo ich den Wagen ganz für mich habe.
Falls Sie zur Vermeidung von Kosten auf ein Auto verzichten, so zeigt
meine jetzige Erfahrung, dass sich das nur dann wirklich lohnt, wenn man
so gut wie keinen Bedarf an Fahrten hat, also auch auf die Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel oder Motorroller etc. verzichten kann. In dem
Augenblick, in dem ersatzweise relativ regelmäßig Kosten für ein anderes
Verkehrsmittel anfallen, können Sie davon ausgehen, dass Sie für dieses
Geld auch schon solch einen anspruchslosen Nonstatus-Wagen fahren
können. Wie ich bereits berechnete, 23 Euro Fixkosten plus etwas
Benzingeld ungefähr in gleicher Höhe, je nach Fahrgewohnheit, das sind
die Kosten, die bei halbwegs regelmäßiger Fahrt mit dem Bus, der Bahn,
U- oder Straßenbahn auch monatlich anfallen. Man sollte vielleicht
hinzufügen, dass man zur Erlangung der geringen Fixkosten natürlich auch
eine günstige Versicherung braucht. Diese zu finden, ist aber heute sehr
leicht. Man sollte nie so tun, als wäre man mit einer speziellen Gesellschaft
verheiratet, nur weil man dort schon andere Versicherungsverträge
abgeschlossen hat. Man geht einfach zu einem konzernlosen
Versicherungsmakler, am besten zu einem der möglichst viele
verschiedene Gesellschaften anbietet. Der braucht auch nicht gleich um die
Ecke zu wohnen, man sollte gezielt nachforschen, wer besonders preiswert
ist, auch wenn der vielleicht 25 km weit weg wohnt. Die Entfernung macht
nichts, weil er sucht den günstigsten Anbieter heraus, das kann man
telefonisch bei dem alles regeln, dann schickt er die Unterlagen per Post
zu, fertig. Ein persönliches Erscheinen ist dazu gar nicht notwendig. Die
Unterschiede für die gleiche Versicherungsleistung liegen bei
unterschiedlichen Gesellschaften oft bei mehreren hundert Prozent, wenn
man die Günstigste als 100 % - Ausgangsbasis für die
Vergleichsberechnung verwendet.
Jedoch zurück zu dem Vergleich der Gesamtkosten der Verkehrsmittel. 
Für einen Motorroller kann man sagen, ist dieser für sich alleine
genommen in diesen Kosten nur halb so hoch, wie der Kleinwagen, aber
dafür ist man auch Wind und Wetter ausgesetzt, fährt seltener und hat noch
andere echte Nachteile, wie das teure Zweitakt-Öl u.s.w. die den Mehrpreis
fürs Auto rechtfertigen und teils sogar wieder ausgleichen. Auch hörte ich
oft von anderen Motorrollerbenutzern, dass diese bei sehr intensiver
Benutzung häufiger Probleme mit dem Motor oder solchen Teilen
bekamen, weil die Dinger für sehr häufigen Gebrauch eher nicht
geschaffen sind, zumindest nicht diese billigen Gefährte mit
Mofazulassung. Da müsste man schon auf teurere Ausführungen mit
Motorradzulassung zurückgreifen, aber dann wäre der ohnehin schon
magere Preisvorteil gegenüber einem Kleinstwagen ganz dahin. Ich selbst
kann aber über meinen gehabten Motorroller keine Klagen in dieser
Richtung anbringen. Das Ding hatte ich billig gebraucht gekauft und ich
bin bis auf eine Ausnahme nie damit liegen geblieben. Die Regenkleidung
plus Helm dafür haben mich im Prinzip fast mehr gekostet, als der
Motorroller selbst. Den Helm muss man zwingend haben, die
Regenkleidung eigentlich auch, weil eine Fahrt selbst bei geringem
Sprühregen oder Nebel ohne das nach wenigen Kilometern schon
unerträglich wird, weil die normalen Klamotten dann klatschnass sind, als
wäre man gerade in ein Schwimmbad gefallen. Dann noch der kalte
Fahrtwind dazu und die Lungenentzündung oder gar Nierenleiden lassen
nicht lange auf sich warten. Fasse ich beide Preise zusammen, dann
überschreite ich schon die 850 Euro, die mich der Suzuki-Alto gekostet
hat. Am Schluss bestimmen die Fahrgewohnheiten besonders, was das
Autochen insgesamt kostet und ohne jede Untertreibung behaupte ich, dass
es z.B. mit diesem Alto möglich ist, für monatlich unter 50 Euro
Gesamtkosten schön mobil zu sein. Das geht, wenn man sich mit 100 km
Fahrstrecke im wöchentlichen Durchschnitt begnügt. Im Moment schaffe
ich das offen zugegeben nicht, weil ich dafür zu viel fahre. Das wird sich
aber im Laufe der Zeit einpendeln und ich bin überzeugt, dass ich bei
meinen künftigen Durchschnittsfahrgewohnheiten mit 50 Euro im Monat
auskommen werde. Natürlich ist auch das noch gutes Geld, aber gespart
hätte ich es ja nur dann, wenn ich nicht ersatzweise Busse, Bahnen oder
den Motorroller benutzt hätte, was mir unmöglich erscheint. Ein Leben
ganz als Fußgänger oder bestenfalls als Radfahrer, das stelle ich mir selbst
hier in der Stadt auf Dauer unzumutbar vor und bei jemandem in ländlicher
Lage dürfte es vermutlich noch schwieriger, wenn nicht gar unmöglich
sein.

Ach ja, seit letzten Donnerstag nutze ich die Susi auch schon mäßig
gewinnbringend, ein Zubrot, wie es ohne Auto gar nicht möglich wäre.
Durch Zufall habe ich erfahren, dass ein Schraubenladen, eigentlich müsste
man Eisenwarenhandel sagen, der im Stadtteil Ostheim eine Verkaufsstelle
hat und dessen Hauptgeschäft im Westteil der Stadt liegt, eine Aushilfe
zum Materialtransport von dieser Hauptstelle zum kleinen Verkaufsladen
braucht. Die haben dafür einen Fahrer, der ist jedoch einige Wochen
erkrankt und so war Aushilfe nötig. Als ich das hörte, habe ich nachgefragt
und wir wurden uns sofort einig. Von Montag bis Freitag muss ich nun
einmal gegen 17 Uhr von einige große Trageboxen mit Schrauben und
sonstigem Kleinzeug rüber in die Filiale fahren. Um diese Uhrzeit herrscht
oft Stau wegen Berufsverkehr, aber das hat sich so eingespielt bei denen
und sie wollen die Uhrzeit nicht verändern. Ich hatte nämlich schon
vorgeschlagen, es auf 14.15 Uhr zu verschieben, weil der Verkehr dann
geringer ist und weil ich spätestens um 14 Uhr bei meiner städtischen Sohi-
Stelle frei habe und da die Hauptstelle des Ladens nicht sehr weit von
unserem Betriebshof entfernt ist, ließe es sich dann auf einem Weg
erledigen. Das ist nur so lange befristet, bis der erkrankte Angestellte
wieder da ist, wird spätestens Ende April zuende sein. Ich erhalte pro
Ausfahrtag dafür 22 Euro plus 5 Euro Benzingeld. Fahren muss ich mit
meinem eigenen Wagen, meistens sind 2 oder 3 Trageboxen zu befördern.
Mehr als 3 passen auch nicht in meinen Suzuki rein, und das auch nur, weil
ich die Rücksitze ausgebaut habe. Wären mehr als 3 Trageboxen fällig,
müsste ich zweimal fahren - für's  gleiche Geld, aber das ist bislang noch
nie passiert. Der Juniorchef der Firma sagt, so sei das für ihn billiger, als
würde er einen Paketdienst damit beauftragen, da die pro schwerer
Tragebox 16 Euro verlangen würden, also 3x16=48 Euro. Für die Fahrerei
(ungefähr 12 km eine Strecke, je nach Fahrroute) verbrauche ich selbst mit
Anfahrt und Rückweg zu mir nach Hause keine 5 Euro an Benzin,
vielleicht 2 Euro. Wenn ich das auf vielleicht 3 Wochen hochrechne, so
ergibt sich ein Zubrot von immerhin 375 Euro. Der Arbeitseinsatz pro Tag
kommt mit ungefähr 90 Minuten hin.

Die hakeligen Wetterphänomene haben mich in den letzten Wochen etwas
überrascht. Am vorletzten Samstag schien hier am Vormittag schön die
Sonne, es sah auch nicht danach aus, als ob mit Regen oder Schnee zu
rechnen wäre. Da habe ich mich in den Alto gepflanzt und bin gemütlich in
den Schwarzwald zum Hornsee gefahren. Nun gibt es Autofahrer, die
fahren grundsätzlich den kürzesten und schnellsten Weg, das mach ich fast
nie. Ich wähle meist einen der landschaftlich schönsten Wege, auch wenn
die Fahrt darüber eine Stunde länger braucht. Daher bin ich gemächlich,
ohne jede Hast, zuerst nach Böblingen, dann über Sindelfingen, ab dort die
kleinsten Sträßlein über Dagersheim, Aidlingen, Althengstett bis Calw, von
dort zur Klosterruine Hirsau und ab dort über Oberreichenbach bis
Calmbach, ab dort rüber gewechselt auf die Bäderstraße über Bad Wildbad,
teilweise an der Großen Enz entlang bis zum Abzweig nach Sprollenhaus
und von dort noch bis Kaltenbronn. Ab dort führt eine kaum bekannte
Feld- und Waldstraße bis an den Hornsee, die man genau betrachtet mit
dem Auto als normaler Privatmann und kleiner Wicht gar nicht fahren darf,
weil an diesem letzten Stück ein Schild steht: Nur für Forstbetrieb. Aber
schon kurz hinter Calw, in der Nähe der alten Klosterruine begann es von
einem Moment auf den nächsten zu schneien. Ich war schon am überlegen,
ob ich nicht umkehren solle, weil hier erst die Hälfte der Strecke
zurückgelegt war und auch weil ich durch den langen Autoverzicht nicht
mehr bei eventuellen Schleudermanövern so im Fahrtraining bin, wie ein
geübter Autofahrer. Daher ergab sich eine gewisse Angst, dass ich meinen
schönen neugebrauchten Suzuki vielleicht bei einem Ausrutscher
beschädigen könnte. Trotzdem überwog die Fahrfreude und im Hinterkopf
die Gewissheit, dass ich ja Winterreifen mit noch sehr viel Profil drauf
habe, daher bin ich dann doch noch und langsamer als zuvor schon,
weitergefahren. Es überholten mich natürlich etliche, einer mit einem
dicken Audi zeigte mir beim Überholen sogar einen Vogel, weil ich ihm
zuvor zu langsam gefahren war. Die Straße war dort schneebedeckt und
stellenweise mit glitschigem Schnee der mal aufgetaut und wieder gefroren
war überzogen, was eine besonders gefährliche Mischung ist, trotzdem
brauste der Vogelzeiger mit seinem Audi mit mindestens 100 km/h an mir
vorbei, ich fuhr selbst knapp 30 km/h und hielt das für angemessen bei der
Witterung. Ich dachte noch im Stillen so bei mir, dass es mich nicht
gewundert hätte, wenn ich diesen Audivogel nach einigen Kilometern
weiter von einem Baum hätte abkratzen können, weil er dank der Glätte
abgehoben hätte.
Am Schluss war ich aber froh, weiter gefahren zu sein. Am Hornsee lag
zwar auch viel Schnee, aber es hörte auf, weiter zu schneien und bei
glänzendem Sonnenschein genoss ich zwei Stunden der Wanderung um
den See. Da konnte man richtig neue Kraft für den Alltag tanken.

Im Stadtteil Sillenbruch haben wir gestern gearbeitet. An einem
Waldparkplatz befinden sich Begrenzungspfosten aus Eisen, die schon arg
vom Rost zerfressen sind. Unsere Aufgabe dort können Sie sich denken,
aber wir haben in frischer Manier wieder nach dem Motto: Lack drüber
werfen, fertig; die Sache in einer halben Stunde erledigt. Weil es dort so
schön ist und das Wetter sehr schön war, haben wir dann mehrere Stunden
auf diversen Wald- und Parkbänken zugebracht, die kurz zuvor von
unseren Kollegen des städtischen Dienstes erst wieder montiert worden
waren. Über den Winter werden die meisten Bänke dort abgeschraubt.
Dann hockt sich dort keiner hin, itte.

Heute brauchte ich nicht zu arbeiten, denn ich hatte früh den jüngst
angekündigten Termin bei einer oberen Stellen des Sozialamtes.
Behördentermine setzen den Dienst außer Kraft, erst recht wenn's beim
Soziamt ist. Dadurch hatte Tschibo, mein Kumpel Tschirdewan, keinen der
ihn zu den Arbeitsorten fuhr und er sollte deshalb in der alten
Fahrzeughalle vom Bauhof innen die Fensterrahmen neu lackieren. Dieses
hat der Quatländer schnell erfunden, um bei Tschibo keine Langeweile
aufkommen zu lassen. Der hat sich gefreut, denn dort, unter fast ständiger
Beobachtung, konnte er nicht, wie wir es sonst draußen tun, die Zügel
schleifen lassen und ohne Entrosten neu lackieren. Auch waren keine
mehrstündigen Pausen drin. Ich hatte ihm schon geraten, sich vielleicht auf
die Schnelle selbst auch einen Behördentermin zu verschaffen, aber vor
Behörden hat der Angst wie ein kleines Kind vor dem Filderdeibel oder vor
Knecht Ruprecht. Sein Pech.
Ich war also dort und es begann schon beamtentypisch. Weniger typisch
war, dass ich das Zimmer 469 auf Anhieb ohne Verrenkungen fand. In der
Benachrichtigung hatte man mich auf Pünktlichkeit hingewiesen und da
ich die Stadtbeamten nicht verärgern wollte, stand ich exakt um 8.14 Uhr
vor dem Zimmer 469. An dem Zimmerschild neben dem Türrahmen stand
sehr klein: Herr Amtsrat Ob.Verw.Rat Hägele und darunter
Dipl.Verw.Fachw. Frau Kuurz. Ich habe mich gerade nicht vertippt, dort
stand wirklich Kuurz, laut meinem Schreiben heißt sie aber Kurz. Als der
Sekundenzeiger meiner Armbanduhr auf 8.15 Uhr umschlägt klopfe ich an
die Tür. Nichts passiert. Ich wiederhole ein paar mal, es passiert weiterhin
nichts. Ich versuche die Tür zu öffnen, sie ist aber noch abgeschlossen.
Mein Versuch zur Pünktlichkeit wird auf diese Weise torpediert. Da alle
Angaben mit dem Anschreiben übereinstimmen, bin ich aber an der
richtigen Stelle. Was tun? Soll ich zum Pförtner laufen und den fragen?
Das wäre lästig, 4 Stockwerke runter, einen langen Flur entlang bis zur
Pförtnerloge. Vielleicht kommt in ein paar Minuten jemand von den
Zimmerinsassen und wir verpassen uns, wenn ich jetzt zum Pförtner renne.
Also beschließe ich, vor dem Zimmer zu warten. Im Flur stehen ein paar
vergammelte und abgenutzte Behördenstühle. Es liegen sogar einige
Zeitschriften zum Lesen für Wartende herum, ich bin aber der Einzige hier
und der ganze Flur wirkt wie ausgestorben. Man hört nichts, außer den
Geräuschen, die man selbst veranlasst und ein leises Rauschen, vermutlich
von der Klimaanlage. Ich versuche, die Langeweile mit Lesen zu
vertreiben, jedoch hat man die Stühle und einen billigen Tisch mit den
Zeitschriften drauf an der dunkelsten Stelle des Flurs platziert, die Lampen
an der Decke sind aus und das nächste Fenster sehr weit weg am Endes des
Ganges. Lesen geht daher nicht. Ich überlege, ob ich so dreist sein soll, und
einfach das Licht vorne einschalte, doch da höre ich aus der Ferne Schritte
herankommen. Ein absolut grau gekleideter Mann mit Brille, grauen
Haaren und grauem Bart, alles Ton in Ton, könnte man sagen, schließt
Zimmer 469 auf. Ich hetze rüber und laufe ihm nach in das Zimmer. Er
erschrickt ein wenig. Um es kurz zu machen, es stellt sich heraus, dass der
nicht der Herr Hägele ist. Herr Hägele habe selbst keine Zeit und sei
andernorts in einer wichtigen Besprechung und Frau Kurz habe sich krank
gemeldet. Er selbst sei Herr Turng oder Turm - so genau ließ es sich nicht
verstehen, er habe aber keine Ahnung, weshalb ich dort hin sollte, er habe
nur kurz einen Vermerk in Herrn Hägeles Computer gelesen. Er müsse sich
erst mit der Sache vertraut machen, das soll heißen Akten lesen, so lange
sollte ich im Flur weiter warten, bis er mich ruft. Mittlerweile war es
bereits 9.30 Uhr. Dann rief er mich rein. Zuerst fragte er mich ab, ob es
zutreffe, dass ich seit einiger Zeit für die Außenstelle in der
Zamenhofstraße arbeite u.s.w. Dann folgte eine Frage, auf die ich nicht
gefasst war und die mich innerlich fast zerriss: Hätten Sie Interesse, in
einen festen Arbeitsvertrag mit der Stadt überzuwechseln? Innerlich wollte
ich das nicht, mir wäre es lieber, wie erwartet ab Mai wieder zu Hause
bleiben zu können, wenn auch mit etwas weniger Geld. Doch hätte ich dem
das so sagen können? Er merkte aber, dass ich keine schnelle Antwort parat
hatte und mehr nur herumgluckste mit tja, hm, ach, och oder solchen
Bemerkungen. Dann sagte er recht leise: Ich will Sie damit nicht
überfahren. Hier liegt ein Vermerk vor, dass Sie Interesse an einer
Anstellung hätten und dass Sie sich bei der Maßnahme (welch ein Wort)
gut bewährt hätten und vielleicht öffnet ihnen das einige Türen. Mir lief der
Schweiß runter, allerdings von der Innenseite meines Kopfes. Nun setzte er
zu etwas ausführlicheren Darlegungen an: So einfach ist das nicht. Wir
haben nun einmal unsere Vorschriften. Danach dürfen wir Sie nicht
einstellen, weil Sie sich nicht schriftlich auf eine der freien Stellen
beworben hatten. Wir dürfen nicht einfach hingehen und jemanden aus der
Maßnahme in einen regulären Posten umsetzen, wir bekämen den größten
Ärger. Würden Sie sich jetzt innerhalb der nächsten Tage schriftlich, wie
üblich, mit allen Unterlagen bei der Stadt offiziell bewerben, dann stünden
Sie aber hinten an in einer Reihe aus 126 Bewerbungen. Da hätten Sie so
gut wie keine Chance, weil es Vergaberichtlinien gibt, die die
Bewerbungen, die zuerst eingingen, stark bevorzugt. Es gibt aber eine
Möglichkeit, einen kleinen Trick gewissermaßen. Ob sie klappt, kann ich
Ihnen nicht genau vorhersagen, aber vielleicht. Sie bewerben sich sofort
bei der Stadt Esslingen auf eine freie und sofort verfügbare freie Stelle. Die
bekämen Sie sofort, weil bei denen kein Vorbewerber ansteht. Sobald Sie
dort ihren Dienst angetreten haben, schreiben sie ein Versetzungsgesuch
von Esslingen auf den gezielten Posten hier in Stuttgart. Dann liegt es in
unserem freien Ermessen, den schon bewährten Angestellten Lappenkeuler
aus Esslingen hier bei der Besetzung des Postens den derzeit noch
arbeitslosen und nicht bewährten Bewerbern vorzuziehen. Dann hätte alles
die amtliche Ordnung, die es braucht, um rechtlich zulässig zu sein. Das
wurde auch schon mit Herrn Schaub aus Esslingen abgesprochen, das wir
das so machen können. Es gibt dabei aber für sie ein Restrisiko. Wenn sie
Pech haben, dauert dieses Verfahren dreiviertel Jahr. In dieser Zeit müssen
Sie täglich tatsächlich nach Esslingen arbeiten fahren und dort auch ihre
Arbeit zur vollsten Zufriedenheit leisten. Wenn sie Glück haben, geht aber
alles schnell und in 4 Monaten sind Sie wieder hier. Hurra! - Denke ich,
daran kann ich mich aufhängen. Nein, nach Esslingen das geht nicht, ich
muss nach einer schweren mehrjährigen Krankheit ständig hier in Stuttgart
zur Nachsorge zu Spezialärzten, deshalb wäre das mehr als ungünstig, sage
ich ihm. Er schaut bedenklich und fragt: Sie sind schwer krank? Ich erkläre
ihm meine Krankheitsgeschichte und dass ich deshalb öfters zu
Kontrolluntersuchungen hier in Stuttgart muss. Dann sagte er, dass sie das
nicht wussten und damit habe sich der Vorschlag erledigt. Sofort kühlt das
Innere meines Kopfes wieder ab und der Stein, der mir vom Herzen fällt,
droht fast meine Hose zu durchschlagen. Dann telefoniert er einige Zeit
herum und bittet mich während seiner Telefonate noch einmal im Flur
Platz zu nehmen. Er will nicht, dass ich mithöre, ganz klar. Nach über 20
Minuten werde ich wieder reingerufen. Er beteuert: Das tut mir alles sehr
leid, aber wir wussten nicht. Es ist schade, die Arbeit hätte ihnen sicherlich
Spaß gemacht, aber bitte verstehen sie auch unsere Lage, wir dürfen keine
Leute einstellen, die eine erhebliche Krankheitsvorgeschichte haben. Sie
wissen ja, mögliche frühzeitige Rentenforderungen und all solche
Geschichten. Ich will Ihnen da keine Angst machen, aber unter diesen, uns
bislang unbekannten Voraussetzungen, kann es sogar sein, dass wir Sie
auch in der Zamenhofstraße gar nicht mehr bis zum Ende der Maßnahme,
was ja im Mai wäre, weiter beschäftigen dürfen. Das weiß ich aber nicht,
das wird der Herr Hägele oder die Frau Kurz in den nächsten Tagen selbst
klären müssen. Was ich ihnen aber als vielleicht schlechten Trost mit auf
den Weg geben kann ist, dass sie nach der Maßnahme in jedem Fall wieder
auf den früheren Sozialgeldbetrag gesetzt werden, da sie ja zweifellos hier
Ihren Arbeitswillen kräftig unter Beweis gestellt haben und sie überhaupt
nichts dafür können, sondern nur aus Gesundheitsgründen keine
Anstellung finden.
Er wünscht mir noch mit der Bemerkung: Tut mir leid, dass ich nicht mehr
für sie tun konnte...; einen schönen Tag und verabschiedet mich.
Im Klartext ist für mich dabei also nun heraus gekommen, dass ich
spätestens ab Mai (vielleicht auch früher) nicht mehr den Dienst an der
Stadt vollführen muss und sogar wieder in der Sozialhilfe um die neulich
gekürzten 53 Euro (vielleicht sogar mehr, wegen krankheitsbedingter
Mehrbelastung) angehoben werde. Das würde bedeuten, dass ich im
übertragenen Sinne meinen Suzuki aus heutiger Finanzsicht bald zum
Nulltarif fahre, da die 53 Euro so ziemlich genau dessen Gesamtkosten pro
Monat einschließlich Benzin sind.
Soll noch einer sagen, Behördentermine wären immer etwas Schlechtes!

Das Gute versteckt sich manchmal nur und sei es auf einem Behördenflur.

Ihr

Egbert Lappenkeuler
 
 


Beitrag 2

Lappenkeuler - Brief / Email "Wandel" vom 07.04.2004

Hallo, weitere gute Grüße.

Alles geht weiter und obwohl ich selbst wenig oder fast nichts zu dem
Gang der Dinge beigetragen habe, kreiden manche Leute mit wenig Weit-
und Durchblick einem den Verlauf der Geschehnisse böse an. Sie werden
sich an mein vorangegangenes Schreiben erinnern, mit der Geschichte um
meinen Behördentermin. Die von den oberen Etagen gefassten Beschlüsse
werden bei Behörden natürlich auch an die unteren Behördenstellen
weitergeleitet, damit die sich danach richten können. So erhielt meine
städtische Einsatzstelle entsprechende Unterlagen, in denen sie angewiesen
wird, wie mit mir weiter zu verfahren ist, da die Sache schließlich in ganz
neuen Erkenntnissen für die Behörde mündete. Ich wurde schon 2 Tage
nach meinem Behördentermin ins örtliche Büro vom Schmelzle gebeten
und das, noch bevor wir morgens zu unserem ersten Arbeitseinsatz
rausfahren konnten. Mit langem Gesicht saß der Schmelzle hinter seinem
Schreibtisch und stocherte in einigen Schreiben herum, die darauf lagen. Er
meinte: "Wenn das stimmt, was mir hier Frau Kurz schreibt - die hatte
später meinen Fall wohl  weiterbearbeitet, als sie nach meinem Termin aus
ihrer Krankheit zurück kam - dann ist das eine traurige Sache! Wenn es so
ist, dass sie noch unter den § 409 der Landesverordnung fallen" - ich
konnte mir die langen Worte nicht recht merken, die da folgten - "dann
dürfen wir sie gar nicht in solchen städtischen Diensten beschäftigen. Was
heißt dürfen, eigentlich hätten wir das dann nie gedurft, auch jetzt nicht,
auch heute nicht. Genau betrachtet müsste ich sie jetzt sofort nach Hause
schicken. Wegen erheblicher Vorerkrankung mit Nachsorgebedarf
u.s.w....., nein, nein, das dürfen wir gar nicht. Die Versicherungen brechen
uns das Genick, sie treiben uns ungespitzt in den Boden, wenn wir das
weiter betreiben. Und das, wo sie ein Teil unseres Vorzeigeteams waren,
einfach schrecklich! Glauben sie mir, wenn ich noch mehr Haare auf dem
Kopf hätte, wäre es zum Haareraufen. Sie müssen wohl noch ein Schreiben
Ihres behandelnden Arztes oder auch einen Abschluss-Rapport von ihrem
damaligen Klinkaufenthalt als Kopie an Frau Kurz einreichen, damit die
sehen, dass diese Krankheitsgeschichte tatsächlich so verlaufen ist. Gerade
für heute und morgen hatten wir noch wichtige Aufträge für Sie
vorgesehen, aber die können wir dann wohl in den Wind schreiben."
Natürlich habe ich noch Unterlagen von meiner Krankheit und diese werde
ich denen als Kopie zusenden. Noch als Schmelzle fast schon traurig
versucht, die Angelegenheit aus Sicht der Stadt darzulegen, eben mit der
wahrscheinlichen Folge, dass meine Tage in städtischen Diensten gezählt
sind, kommt Bäuerle herein und stimmt in den Trauerkanon ein. Bäuerle
fragt dann noch, was denn bis Mai aus Tschirdewan werden soll, der ja
eigentlich unabhängig von mir seinen Dienst weitermachen könnte, wenn
man einen anderen Fahrer fände. Schmelzle sagt darauf: "Einen anderen
Fahrer finden, so leicht sich des anhört so schwierig isssch es. Finden sie
unter denen (wobei er mit dem Finger aus dem Fenster zeigt) mal einen
auch nur halbwegs zuverlässigen Fahrer! Die meisten wollen gar nicht und
von denen die noch mit Müh und Not wollen, fahren die meisten ihnen in
den ersten zwei Tagen das Auto zu Schrott." Das Telefon läutet. Schmelzle
hebt ab und eine scheinbar ratlose Diskussion beginnt, weil Schmelzle oft
ins Telefon sagt: "Ja wasch soll ich denn mache? Mir sind d' Händ
gebunde!" So geht das eine Zeit weiter. Dann legt er auf. Er erläutert: "Im
Stadtteil Sonnenberg müssen im städtischen Hallenbad die Haltegriffe von
den Sprungturmtreppen neu lackiert werden und das geht nur diese Woche
noch, weil das Bad bis Anfang nächster Woche noch teils geschlossen ist.
Ohne Fahrer aussichtslos, ich kann den Tschirdewan doch nicht bis an d'
Zähn mit Farbeimern bewaffnet per Straßenbahn hinschicke. Der leitende
Bademeister dort, der auch das Bad selbst leitet, hat schon in seiner Not für
jeden eine Ganztages-Zehnerkarte ausgelobt, wenn wir das doch noch
irgendwie zeitig hinbekommen." Da werde ich hellhörig. Eine Zehnerkarte
in dem Hallenbad ist schon schweineteuer und für mich unerschwinglicher
Luxus, damit kann man 10 mal für jeweils eine volle Stunde ins Hallenbad.
Geschweige denn eine Ganztages-Zehnerkarte, mit der man an 10
verschiedenen Tagen jeweils den ganzen Tag ins Bad kann. Man bekommt
einen Datumsstempel auf die Karte und kann auch zwischendurch
unterbrechen und am gleichen Tag noch mal wiederkommen, ohne dass ein
neues Feld entwertet wird. Diese Ganztages-Zehnerkarte kostet heute
sicherlich über 150 Euro, ich war aber schon 8 Jahre nicht mehr in diesem
Bad. Noch bevor ich krank wurde und bevor ich nach Vaduz umzog, war
ich zuletzt dort, und damals war das schon teuer. Da ich gerne schwimmen
gehe, würde ich mir diese Karte gerne noch verdienen.  Besonders morgens
in der ersten Stunde nach der Badöffnung oder abends kurz vor
Toresschluss, also immer dann, wenn es im Bad so leer ist, dass man auch
richtige Runden schwimmen kann, ohne anzurempeln. Mir kommt eine
Idee, die schlage ich dann Schmelzle und Bäuerle vor: Frau Kurz wartet ja
noch auf meine Kopien der Arztgeschichten. Solange die nicht
eingegangen sind, und das dauert ja sicher noch 2 Tage, könnten wir ja so
tun, als wäre ich offiziell noch nicht des Dienstes aus Gesundheitsgründen
enthoben. In Behörden gilt doch nur das, was amtlich belegt ist, also hat
meine Dienstenthebung auch erst nach dem korrekten Eingang besagter
Kopien bei der Frau Kurz Gültigkeit! Sie brauchen das ja noch gar nicht zu
wissen, ob ich das belegen kann oder nicht, sage ich. Zuerst lehnt
Schmelzle das als korrekter Beamter ab. Bäuerle sagt: Ich weiß nichts, ich
habe nichts Gegenteiliges gelesen, von mir aus könne' mir desch so mache.
Nach längerem Überlegen weicht auch Schmelzle auf, der darin eine
willkommene Chance sieht, sich seines Arbeits-Problems zu entledigen.
Er kratzt sich mehrere Minuten durchs Gesicht und sagt schließlich: "Ja,
isch gut, so mache mir des. Offiziell ist die Sache erst, wenn die
Bestätigungen von ihrem Arzt bei Frau Kurz eingetroffen sind und diese
uns wieder benachrichtigt, dass alles offiziell ist, also kann uns keiner was,
wenn wir diese sicherlich 2 Tage noch ausnutzen. Danach geht aber dann
gar nichts mehr. Wenn sie selbst damit einverstanden sind, an mir soll's
nicht liegen." Ich gebe mein o.k., damit fällt gleich 3 Leuten ein Stein vom
Herzen, Schmelzle, Bäuerle und dem Tschirdewan.
Schnell wird der Pritschenwagen aufgerüstet und so fahren wir (Tschibo
und ich) schon kurz danach rüber nach Sonnenberg zum Stadtbad. Wir
fahren über Heslach dorthin und kurz vor Sonnenberg überholt uns
unterwegs der Quatländer mit seinem Dienstwagen und winkt uns an der
Eugen-Dolmetsch-Straße zum Parkplatz vom Wald-Friedhof rein, wir
sollen dort halten. Was mag der Blödmann noch wollen, sage ich zum
Tschibo.
Auf dem Parkplatz sind wir noch nicht gut aus unserer Pritsche
ausgestiegen, da sehe ich einen tobenden Quatländer vor mir, so habe ich
den noch nie erlebt. Er schimpft lauthals: "Das habt ihr ja fein
hinbekommen. Warum habt ihr nicht zuerst bei mir nachgefragt?! Ich bin
euer direkter Vorgesetzter und nicht der Bäuerle und schon gar nicht der
Schmelzle. Ihr Hornochsen! Wenn ein Kloputzer beim Benz (gemeint war
im Mercedes-Benz-Werk) etwas zu regeln hat, geht der auch nicht damit
gleich zum Schrempp. Ihr könnt euch nicht einfach den Hallenbad-Job an
Land ziehen, ohne mich zu beteiligen!" u.s.w.  Der Quatländer steigert sich
immer mehr in die Sache und wird zusehends lauter. Leute, die vom
Friedhof zu ihrem Auto kommen schauen schon entsetzt zu uns rüber.
Schließlich ist der Quatländer dann ganz ausgerastet und richtet seine Wut
gezielt gegen mich: "So etwas dürfte es gar nicht geben, Geld für Nichtstun
kassieren und kann demnächst auch wieder stinkendfaul ganz zu Hause
bleiben! Aber du bist so ein ausgekochtes Bürschchen, das habe ich dir
gleich angesehen, jetzt kann ich es ja sagen. Zum Glück sehen wir uns nie
mehr wieder, faules Gesocks! Überall nur herumschmarotzen..." u.s.w.
Seine Beschuldigungen nehmen kein Ende mehr und mittlerweile brüllt er
schon nicht mehr, sondern seine Stimme hat sich in ein konstantlautes
Kreischen des Wahnsinns verwandelt. Da er ja nun die Sau rausgelassen
hat, sehe ich auch keinen weiteren Grund, mir das gefallen zu lassen. Es
hat keinen Zweck, bei einem solchen Idioten gegen zu brüllen. Ich schubse
den Tschibo an, sage zu dem nur ganz ruhig: "Komm steig ein, wir fahren
weiter zum Hallenbad, der Typ hat doch ne Meise!" So steigen wir ein und
wollen losfahren. Da kommt der Quatländer auf unsere Pritsche zu und
macht einige Drohgebärden und schimpft weiter: "Untersteht euch und
fahrt dahin, dann könnt ihr mich aber erst richtig kennen lernen!" Ich habe
hier ja nichts mehr zu verlieren, meine Zukunft ist zunächst gesichert,
daher kann ich ruhig etwas mutiger sein. Ich kurble meine Scheibe runter
und rufe dem Quatländer zu: "Du Arsch, mach dich aus dem Staub, wir
fahren jetzt zum Hallenbad, und damit du es weißt, von dort rufe ich sofort
den Schmelzle an und sag dem wie bescheuert du bist und dass du uns am
Job hindern willst." Quatländer ruft schimpfend noch etwas, aber wir hören
das schon nicht mehr, weil ich den Motor angemacht habe und wir in
Richtung Hallenbad weiterfahren. Als wir am Hallenbad ankommen, gehen
wir schnell rein und rufen sofort den Schmelzle an und berichten dem, wie
der primitive Quatländer ausgerastet ist. Von drinnen sehen wir schon, dass
draußen der Oberidiot Quatländer jetzt auch wieder mit seinem
Dienstwagen ankommt. Der Schmelzle sagt, wir sollen ihn mit dem
Quatländer reden lassen, sobald der rein kommt. Das machen wir dann
auch so und reichen den Telefonhörer an den weiter, als dieser glühend vor
Wut ins Bademeisterbüro vom Hallenbad gestampft kommt. Zuerst tobt er
noch eine zeitlang weiter am Hörer herum, wird aber zusehends kleiner.
Irgendwann legt er noch halbwegs wütend den Hörer auf und läuft
schimpfend raus: "Das pack i net, da reisst man sich jahrelang den Arsch
auf und dieses Pack kriegt allesch umsonst in den Arsch geblasen....." In
der Art weiter tobend verlässt er das Hallenbad und fährt davon. Der
Schmelzle ruft wieder im Hallenbad an und sagt, dass wir um die
Äußerungen von Quatländer nichts geben sollen und getrost mit der Arbeit
beginnen sollen. Der leitende Bademeister zeigt uns, welche Handläufe von
zu lackieren sind, das machen wir dann in altbekannter Manier und schon
um 12 Uhr sind wir fertig. Jeder von uns bekommt eine Ganztages-
Zehnerkarte, des weiteren kriegen wir noch jeweils eine für den Schmelzle
und den Bäuerle mit auf den Weg gegeben. Den blöden Quatländer haben
wir den ganzen Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen, auch in der
Zamenhofstraße nicht. Sein Dienstwagen stand noch nicht dort, als wir um
14 Uhr Feierabend gemacht haben. Morgen muss ich noch mal hin und es
wird wahrscheinlich dann für mich der letzte Arbeitstag in den Diensten
der Stadt sein, da ich davon ausgehe, dass die Unterlagen bis dann
eingetroffen sind. Andernfalls wäre vielleicht auch erst übermorgen
Ultimo, länger als bis dann, dürfte es wohl kaum dauern.
Einerseits bin ich froh, wieder den ganzen Tag für mich einplanen zu
können, andererseits war es eine interessante, wenn auch kurze Zeit. Der
Schmelzle hat schon gesagt, dass er nach meiner wahrscheinlichen
Abversetzung nach Hause den Tschirdewan nicht weiter in der Gruppe
vom blöden Quatländer einsetzen wird, weil er befürchtet, dass der dann an
ihm die Restwut auslässt. Da ohnehin derzeit kein brauchbarer Fahrer
greifbar ist, wird man dem Tschibo vielleicht noch bis Mai einen
Hausbotenposten im Finanzamt zuweisen, worauf der aber gar nicht scharf
ist, weil er nicht fest drinnen arbeiten kann, da kriegt er die Krise. Aber bis
Mai ist ja auch keine sehr lange Zeit mehr und er kann sich notfalls so
lange ja krank melden. Wenn ich meine Zeit in städtischen Diensten
rückblickend Revue passieren lasse, war sie trotz anfänglich unguter
Befürchtungen eigentlich nicht schlecht. Ich möchte sie aus heutiger Sicht
nicht missen, auch wegen dem zusätzlichen Geld, aber vor allem war es
einmal etwas anderes. Ich habe das Ganze von Anbeginn an nur als
kurzfristige Episode in meinem Leben gewertet, ein weiterer Farbtupfer im
Alltag gewissermaßen. Man muss sich manchmal etwas Abwechslung
verschaffen, sonst vertrocknet man innerlich. Nun habe ich mir diese
Abwechslung nicht selbst verschafft, trotzdem war sie nicht schlecht.
Morgen wird wahrscheinlich endgültig mein letzter Tag hier sein und ich
glaube kaum, dass wir dann noch mal zu einem allerletzten Arbeitseinsatz
raus müssen. Schmelzle und Bäuerle ließen schon durchblicken, dass sie
mich gar nicht mehr weiter beschäftigen dürfen, um sich selbst keine
Schwierigkeiten einzuhandeln.

Man gerät ins Staunen, wenn man sieht, wie sich Leute vom Schlage eines
Quatländers darüber ereifern können, dass andere, vielleicht ohne täglich
an der Arbeitsstelle antreten zu müssen, auch ein Auskommen oder besser
gesagt, ein ausreichendes Einkommen haben. Naja, sagen wir so gerade
ausreichend. Ist es Sozialneid, Dummheit, die Wut darüber, dass er sich
selbst in einer anderen Lage befindet und jeden Tag zur Arbeit muss oder
echte Besorgnis um eine Art Gerechtigkeit bei der Belastung öffentlicher
Kassen? Wahrscheinlich ein Gemisch aus den ersten drei Beweggründen,
denn der vierte Grund ist bei Leuten seines Schlages nur zur
Rechtfertigung vorgeschoben. Ich hatte schon am ersten Tag den
Quatländer nicht gerade als meinen Freund erkannt, konnte mich aber
während der ganzen Zeit, relativ gut mit dem arrangieren. Man hatte auch
sehr schnell heraus, wie man ihn übertölpeln konnte, so dass er offiziell
keine Handhabe hatte, etwas gegen einen zu unternehmen, was er gewiss
gerne getan hätte. Mit dem Tschirdewan verstand er sich etwas besser, weil
der sichtlich mehr Angst vor ihm hatte und so was imponiert primitiven
Leuten seines Schlages mehr, als jede Arbeitsleistung. Ohne großkotzig zu
sein, was mir in keiner Weise liegt, aber Leuten wie dem Quatländer bin
ich haushoch überlegen, die können mir gar nichts, im Gegenteil,
hintenherum würge ich denen noch einen rein, dass ihnen Hören und Sehen
vergeht und sie wissen nicht, woher es kommt. Das hat der Quatländer
innerlich sicherlich auch gespürt, konnte aber nichts dagegen unternehmen.
Was konnte der mir schon wollen? Bei schlechten Arbeitsleistungen oder
Zuwiderhandlungen gegen irgendwelche Bestimmungen hat er mich nie
erwischt, obwohl es vielleicht genug Möglichkeiten dazu gegeben hätte,
beleidigt habe ich ihn auch nie und die Macht, mir wirklich einen Strick zu
drehen, die hat er gar nicht, dafür ist er einige Nummern zu klein und zu
unbedeutend. Ein unbedeutender Wicht in der Landschaft. Über seinen
Ausraster kann ich mich nur köstlich amüsieren. Das ergibt so eine von den
Anekdoten, an die man sicherlich gerne sein ganzes Leben belustigt zurück
denkt.

Damit ich keine Verwirrung bei Ihnen anrichte, was bisher geschrieben
steht, stammt eigentlich von gestern, ich wollte es Ihnen gestern zusenden,
aber irgendwie klappte es nicht und ich war später nicht mehr dazu
gekommen, den Versuch zu wiederholen.
Daher geht ab hier ein kleiner Zusatz vom heutigen Tag weiter.

Als ich heute früh in der Zamenhofstraße ankam, lag dort schon ein
Schreiben bei Schmelzle, dass ich mich umgehend im Behördenzentrum in
Zimmer 472 bei Herrn Smelka melden solle. Weil er das für sehr wichtig
hielt, bat er um sofortige Erledigung dieser Aufforderung. Näheres wusste
er auch nicht, aber er ging davon aus, dass es mit meinem dienstlichen
Ende hier zu tun hat.
Ich also mit dem Wägelchen dorthin gezockelt, gemütlich, nur keine Hast.
Wenn es um Behördentermine geht, sollte man keine zu große Hast
verbreiten. Zimmer 472 musste ja ganz in der Nähe von 469 sein, wo ich
neulich war. So war es auch. Am Zimmer angekommen, es muss so gegen
9 Uhr gewesen sein, wollte ich gerade anklopfen, da sprang die Tür auf und
ein älterer Herr mit kugelrundem Kopf, Glatze und runder Nickelbrille kam
mir entgegen. Sofort sagte er in gedehntem, behäbigen Ton: "Guten Tag,
sie sind der Herr Lappenkeuler!" Ich kannte ihn nicht, also muss er wohl
irgendwo ein Foto von mir gesehen haben. Ich erklärte ihm warum ich hier
wäre. Darauf bat er mich in das Büro, aus dem er eigentlich gerade
herausgehen wollte. In dem Büro saß hinter einem Computer noch eine
junge Frau, die dort arbeitete. Der Glatzkopf stellte sich vor: "Smelka ist
mein Name. Aber bitte setzen sie sich- wobei er mir einen Platz an einem
billigen Besprechungstisch, der schräg im Raum stand, zuwies- ich muss
nur noch schnell in die Kantine mir meine Frühstückshörnchen kaufen.
Bitte haben sie dafür Verständnis, denn wenn ich noch 10 Minuten später
gehe, gibt es keine Hörnchen mehr und der Tag ist versaut."
Er also raus, und ich sitze da und warte. Die junge Dame tippt weiter am
Computer herum. Nach ein paar Minuten steht sie auf und verlässt das
Büro und kehrt auch nicht zurück. Ich sitze allein hier und könnte jetzt,
wenn ich wollte, unbeobachtet in den Akten wühlen, aber ich will nicht,
wozu auch. Nach ungefähr 20 Minuten kehrt der Smelka zurück, der
sicherlich kurz vor seiner Pensionierung steht, jedenfalls schätze ich ihn
auf 65 Jahre, eher sogar 70 Jahre, aber so lange braucht ja noch keiner zu
arbeiten. Smelka grinst und sagt behäbig: "Entschuldigen sie, aber ohne
frische Backhörnchen ist ein Tag kein Tag, habe ich nicht recht? Natürlich
habe ich recht!- ich zucke mit den Schultern, ich habe bis heute ohne
Backhörnchen überlebt, komisch- Sicherlich haben sie diese vielleicht
dumme Frage schon oft gehört und sie hat auch nichts damit zu tun,
weshalb sie hier sind, aber ihr Name klingt etwas ungewöhnlich,
Lappenkeuler, habe ich noch nie gehört, wo kommt der Name eigentlich
her?"  Wenn es ihm eine Freude macht, warum soll ich nicht auch ihm das
über meinen nicht selbst gewählten Namen sagen, was ich darüber weiß, so
beginne ich: "Der Name stammt nach meinen Erkundungen aus Lüneburg
und bezeichnete einen um etwa 1360 lebenden Roland Lappenkeuyler, der
gegen umherziehende Flickschuster kämpfte oder irgendwie gegen diese
vorging. In seiner Tradition sehe ich mich gewiss nicht. Mein Vater
stammte aus dem Ruhrgebiet und ich konnte ihn aber nie zu weiteren
Vorfahren befragen, da er schon starb, als ich erst 1 Jahr alt war. Mit
meiner Mutter hat es uns dann 1964 nach Lauffen am Neckar verschlagen.
Die hat dann später eine Arbeit als Vorlageschneiderin in Stuttgart
gefunden und so verschlug es uns dorthin. 1972 ist sie gestorben und auch
sie hat mir nie Überlieferungen von meinem Vater über den Namen
Lappenkeuler beibringen können...." Der Smelka meinte dann: "Also ich
habe den Namen noch nie zuvor gehört und ich kenne wirklich viele
Namen. Aber so weit so gut, ich will nun auch nicht ihre ganze
Lebensgeschichte hier abfragen. Kommen wir zum Thema. Sie wurden
bislang aus einem bedauerlichen Irrtum heraus in einer
Beschäftigungsmaßnahme eingesetzt. Da ist einiges schief gelaufen, aber
das haben sie selbst alles schon mitbekommen. Sie werden von Frau Kurz
dazu noch ein genaues Schreiben erhalten oder vielleicht schon erhalten
haben? -nein-  Das ist nicht mein Fachgebiet. Ich muss nun
herausbekommen, was Ihnen tatsächlich ab nächstem Monat an Sozialhilfe
zusteht und was nicht. Dazu muss ich erst einige Tabellenblätter
heranziehen."
Er schreitet zu einem Aktenschrank, der in der Wand versenkt ist, kramt
sehr bedächtig und gemächlich 4 Aktenordner heraus. Das alles geschieht
so langsam, dass man sagen muss, der Herr Smelka ist die Personifizierung
der Zeitlupe. Ich erleide schon keine Hast und bin ein Feind jeder Eile, aber
dieser Smelka perfektioniert das in ungekannter Weise. In der Zeit, die er
benötigt, um einen Aktenordner aus dem Wandschrank zu ziehen, wäre es
mühelos zu schaffen, zu Fuß ins Erdgeschoss dieses Bürohauses zu gehen,
wohlgemerkt aus dem 4 Obergeschoss. Er breitet die 4 Ordner auf dem
Besprechungstisch aus und wälzt verschiedene bunte, farblich poppig
wirkende Tabellenblätter, soviel Farbe hätte man in diesem Amt gar nicht
vermutet. Dann greift er ein Formblatt und 2 dieser bunten Tabellenblätter
und beginnt zu fragen:
"Haben sie noch andere Einkünfte aus anderer Arbeit, Nebenjob, Renten,
Versicherungsleistungen, Mieteinnahmen, Kapitalerträgen, Zinsen, Aktien,
Verkaufsgewinnen...?" und er listet noch weitere zig Sachen auf, die ich
mir gar nicht alle merken kann.
"Neiiiiiiin!, das wäre schön", sage ich langgezogen.
"Sind oder waren sie mal verheiratet?", will er wissen.
"Ja, ich bin aber schon seit 1988 geschieden."
"Haben sie Kinder, egal ob aus dieser Ehe oder sonst woher?", bohrt er
weiter.
"Nein, meine damalige Frau hatte nur ihr Geschäft im Sinn, da wären
Kinder nur im Weg gewesen und heute ist es vielleicht auch ganz gut so.",
füge ich an.
So folgen noch diverse andere Fragen aus diesem Umfeld. Dann stellt er
etliche Fragen zu meiner Krankheit, wie lange die Behandlung dauerte, wo
die stattfand, wie oft ich zu Nachsorgeuntersuchungen muss, ob ich
regelmäßig teure Medikamente einnehmen muss und welche u.s.w.
Zwischendurch hat er immer irgendwelche Zahlen und Werte auf einem
Schmierpapier notiert. Nun holt er von seinem seitwärts stehenden
Schreibtisch einen dicken Tischrechner heran und tippt über 10 Minuten
lang dort diverse Werte ein, die er von diesem Schmierpapier abschreibt.
Dann sagt er sehr träge: "Ja, das ist doch was! Ihnen stehen exakt 143,76
Euro mehr an Sozialhilfe zu, als sie heute erhalten. Wenn ihre Angaben
stimmen, wovon ich ausgehe, dann haben sie außerdem zumindest
Anspruch auf eine Nachzahlung der zu wenig gezahlten Sozialhilfe
rückwirkend ab Januar dieses Jahres. Weiter zurückliegende
Nachzahlungen sind nicht drin, weil man es ihnen anlastet, nicht
zeitgerecht frühestmöglich über ihre wahren Lebensumstände bezüglich
der zurückliegenden schweren Erkrankung unterrichtet zu haben. Dieser
erhöhte Betrag stünde ihnen ansonsten schon seit Ende ihres
Klinikaufenthaltes -vor fast 2 Jahren- zu."
In dem Moment hatte ich große Lust, den Mann vor Freude und innerer
Genugtuung zu umarmen, habe es aber nicht getan. So erwarte ich nicht
nur 143,76 Euro monatlich mehr, sondern auch noch eine hübsche
Nachzahlung von 3x 143,76 Euro + 1x 90,76 Euro = 522,04 Euro. Als wir
durch waren habe ich mir anschließend im Flur selbst noch dafür gratuliert,
dass ich mir vor kurzem den Suzuki gekauft hatte, weil ich so jetzt ganz
zum Nulltarif wieder autofahre und sogar mehr Geld übrig habe, als zuvor
ohne Auto. Sicher werden Sie sagen, das ist ja nur Zufall und das Auto hat
ja gar nichts mit der anderen Entwicklung zu tun, aber trotzdem rechne ich
das jetzt so.
Bei lauter solchen guten Nachrichten, die einem von Behörden plötzlich
entgegen wehen, möchte man sich fast schon wünschen, wöchentlich einen
derartigen Behördentermin zu haben. Gerade in den heutigen Zeiten, wo
eher alles schlechter und zusammengestrichen wird, hätte ich mit einer
derartigen Entwicklung niemals gerechnet. Noch vor etwa 2 Monaten war
eine Kürzung von 53 Euro hinzunehmen, jetzt stellt sich heraus, dass nicht
nur diese Kürzung falsch war, sondern dass zusätzlich eine Erhöhung von
143,76 Euro gegenüber dem heutigen Betrag beziehungsweise 90,76 Euro
gegenüber dem damaligen Betrag korrekt sind.

Ich muss aufpassen, denn langsam gerate ich in eine Identitätskrise. Bin ich
überhaupt noch ich? Denn ich bin nicht daran gewohnt Glück zu haben,
eher das krasse Gegenteil. Man arrangiert sich so gut man kann, auch daran
bin ich gewohnt, darin habe ich Übung. Aber jetzt plötzlich solch ein
Wandel, zuerst gewinne ich ein teures Notebook, welches ich mir so selbst
in kühnsten Träumen nie gekauft hätte, ich wäre noch nicht einmal im
Ansatz auf eine derartige Idee gekommen. Dann stelle ich fest, dass ich mir
mit meinem Schrumpfeinkommen doch ein kleines Auto leisten kann und
setze dies auch erfolgreich um, welch ein Gewinn an Lebensqualität! Und
dann jetzt auch noch die deutliche Erhöhung meines Sozialgeldes und die
Gewissheit, allerspätestens ab der Woche nach Ostern wieder den ganzen
Tag frei zu haben, für mich verplanen zu können. Das kann doch nicht
mehr ich sein, dem soviel Positives widerfährt und das noch innerhalb von
nur 2 bis 3 Monaten. Da ist etwas oberfaul, vielleicht bin ich es nicht mehr
selbst und habe es noch gar nicht bemerkt. Eine andere Person ist an meine
Stelle getreten? Bei dem Notebookgewinn wurde ich ja zunächst schnell
wieder auf den Boden der gewohnten Tatsachen zurück geholt, als fast
zeitgleich das Schreiben vom Sozialamt bezüglich meines Arbeitsantrittes
"Maßnahme" eintraf, aber nun zerlegen sich alle Nachteile daraus von
selbst und wandeln sich zusätzlich noch in Vorteile. Daher zittere ich fast
schon vor Angst in der Befürchtung, welch großer, unahnbarer
Schicksalsschlag vielleicht schon hinter der nächsten Hecke darauf lauert,
über mich herzufallen, um mich wieder in den gewohnten Grad des
Pechhabens zurückzuführen oder wenigstens einen Ausgleich ins Negative
für all das Gute zu erzwingen, was mir jüngst widerfahren ist. Sie wissen
sicher wie das ist, an etwas Gutes gewöhnt sich der Mensch schnell, also
streife ich solche Gedanken ebenso schnell wieder ab und bereite mir eine
frische Tasse Pfefferminztee und lehne mich gemütlich schlürfend mit mir
und der Welt zufrieden in meinem Sessel zurück, in der Hoffnung, dass
dieser Zustand so lange wie möglich anhalten möge.

Der Frühling kommt und mit ihm das frische Leben.

Ihr

Egbert Lappenkeuler