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Auf dieser Seite finden Sie die beiden Lappenkeuler - Beiträge “Wetter” und “Herbst” aus dem Jahre 2003. Beide Textbeiträge können hier direkt gelesen werden oder auch als jeweils eigenständige PDF - Datei heruntergeladen werden.
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Beitrag 1
Lappenkeuler - Brief / Email “Wetter” vom 24.08.2003
Ein Wohlsein der Herr!
So herrlich ist das Wetter. Die Freude am Wetter könnte kaum grösser sein und im Fernsehen sagte ein Herr, es sei besorgniserregend. Na, was ist der Mann? Doooooof ist der Mann, kann doch gar nicht anders sein. Was will der denn? Seit Jahren hatten wir nich mehr so einen schönen Sommer und dann meckert so ein komischer Herr öffentlich im Fernsehen herum. Dieser Dummschwengel sollte sich sein Lehrgeld zurückgeben lassen.
An Gutes hat man sich als Mensch schnell gewöhnt, so geht es auch beim Wetter. Deswegen hat Frau Paneslowski jetzt schon grosse Angst vor dem Winter mit seinen Wetterverschlechterungen. Der Unterschied im Wetter, den man dann erst einmal verdauen muss, ist dann noch grösser, als wäre es ein nur mittelmässiger Sommer gewesen, genau deshalb macht sich Frau Paneslowski grosse Sorgen. Sie ist vom Wetter viel mehr abhängig als ich. Sie hatte sicher 3 Jahre keine Arbeit und seit Februar eine neue Anstellung in einem kleinen Krankenhaus, welches aber nicht hier, sondern in Herrenberg ist. So muss sie jeden Tag ungefähr 40 km hinfahren und danach 40 km zurück. Mit dem Auto ist die Witterung dann ein wichtiger und manchmal sogar gefährlicher Faktor. Ich habe Frau Paneslowski beruhigt und sie soll sich nicht vorzeitig in ein schlechtes Wetter hineinsteigern, welches wir noch gar nicht haben.
Weil ich ja noch ohne Arbeit bin, habe ich ihr zur Beruhigung angeboten, an schlimmen Tagen würde ich sie mit ihrem Auto nach Herrenberg fahren. Das wollte sie dann allerdings nicht, weil sie Befürchtungen hegt, dass meine Fahrpraxis noch mehr zu wünschen übrig lässt, als ihre eigene, da ich seit 8 Jahren kein Auto mehr gefahren bin. Ich habe seitdem nur noch Mopeds oder kleine Motorroller. Früher war ich ein sehr guter Autofahrer, ich bin allen davongefahren. Nun hat sie vielleicht nicht ganz unrecht, nach 8 Jahren Enthaltsamkeit wird man nicht gleich wieder meisterlich losrasen können. Es wäre auch lästig gewesen, denn die hat oft wechselnde Arbeitszeiten und ich hätte dann für die manchmal um halb 4 aufstehen müssen, was mir eigentlich widerstrebt. Obwohl für eine mögliche Beziehung in Aussicht mit der Paneslowski hätte ich das gemacht. Die ist zwar freundlich, vermutlich will sie aber nicht mehr von mir, egal, es gibt genug andere, nur wo sind die?
Was soll es? So wie jetzt bin ich mein eigener Herr und was will man mehr? Partnerschaft hin oder her, früher oder später gibt es ja doch Zoff und dicke Luft. Nur oft will man das am Anfang nicht wahrhaben, weil einem dann vor lauter Erregung die Augen und das Hirn verstopft sind. Deshalb trauere ich keiner Beziehung mehr nach, schon gar keiner verpassten Beziehung, die erst gar nicht richtig angefangen hat. Wer weiss was daraus später alles geworden wäre. Zu welchem Hausdrachen manche Frauen im Laufe kürzester Zeit mutieren können, das habe ich schon erlebt. So kann ich mich wenigstens damit trösten, mir ein solches Schicksal erspart zu haben.
In der letzten Woche habe ich mir ganz schön etwas dazuverdient. Bei einem Termin auf dem Arbeitsamt, als ich wieder einmal ohne Jobaussichten rauskam, traf ich einen alten Bekannten, der früher mal mit mir in einem Kurs war. Der hat gesagt, ich könne viel Geld verdienen, wenn ich bereit bin, dafür früh morgens zu schuften. Das war dann ein Job für 4 Tage im Grossmarkt. Kisten auf- und abladen, einem Händler dort beim Umzug helfen. Der zog von seinem alten Stand am Südportal des Grossmarktes in seinen neuen Stand im Nordosten des Marktes. Mein lieber Herr Gesangverein, so geschwitzt habe ich schon Jahre nicht mehr und abends hatte ich ein Gefühl, als wären meine Arme 5 Meter lang. Am letzten Tag war Zahltag und so kaputt ich auch war, so hoch erfreut war ich. 1700 Euro BAT - Bar auf Tatze - für 4 Tage Arbeit, was will man mehr? Es ist nur schade, dass es ein einmaliger Bedarf war. Da wär ich glatt wieder hin. Als ich am letzten Tag nach Hause gekommen bin, habe ich mich zuerst mal 2 Stunden ins Bad gelegt, gemütlich eine leckere Flasche Rotwein dazu. Danach wollte ich eigentlich noch einen Krimi im Fernseher sehen, daraus wurde nichts, weil ich schon nach 5 Minuten Krimi durch die Wirkung des Weines eingeschlafen bin. Als ich wach wurde, war es schon nach 6 Uhr morgens und im Fernseher lief ein Aerobictraining. Prost Mahlzeit! Ich bin solche Mengen alkoholischer Getränke nicht gewohnt, was ich übrigens auch nicht ändern will, nur an diesem Tag schmeckte der Rote mir so gut in der Wanne, das ergab sich automatisch, ohne jede Kontrolle von mir. Schön war, dass ich am Tag danach keine dicke Birne hatte, nur der Mund war innen etwas pelzig als Nachwirkung, aber sonst ging es mir absolut gut.
Am Samstag bin ich in die Kaufhof - Galleria gegangen und wollte mir eigentlich nur in der Zeitungsabteilung die neue Fernsehzeitung kaufen. Am Eingang stand ein dicker Mann, der behauptete ich sei sein jüngerer Bruder, der vor paar Jahren verschwunden wäre. Ich habe ihm einen Vogel gezeigt und ihn gefragt, ob er noch alle Sinne beieinander hätte. Darauf meinte er, das sei wieder typisch für mich, immer alles verleugnen. Ich habe den Idioten einfach stehen gelassen und bin weiter gegangen. Ich bin kein gewalttätiger Mensch, aber dem Arschloch hätte ich mit größtem Vergnügen gerne eine Flasche über die Rübe gezogen. Ein richtig widerwärtiger Sack war das. Natürlich habe ich ihm keine Flasche auf seinem Ballonschädel zerklopft, das war mehr eine rein theoretische Überlegung, dass es mir Spaß bereiten würde, diesem aufgedunsenen Spanferkel so etwas anzutun. So einen Typen als Bruder, das hätte mir wahrhaftig noch gefehlt, bei dem Gedanken kommt mir heute noch der Rotwein von Freitag wieder hoch.
In der Apotheke bin ich neulich fast ausgerastet. Vom Arzt hatte ich wieder meine gewohnten Medikamente verschrieben bekommen und abgeholt. Dann habe ich in der Apotheke neben der Kasse eine Tüte mit Hals- Dreiecksbonbons gesehen. Dass es die noch gibt, die hat mir früher mein Großvater immer gegeben, wenn ich dort zu Besuch war. Die werden im Mund erst ganz scharf und dann eiskalt, ein schönes Gefühl, gesund sind die auch noch nebenbei. So wollte ich mir was Gutes tun und mit eine kleine Tüte davon kaufen. Ja sagen Sie mal, 12 Euro für dieses Tütchen? Das kann es doch nicht geben, 12 Euro für ein, wohlgemerkt kleines Tütchen Halsdreiecke? Wo bin ich denn hier? 2 Euro ok, aber das wäre schon halber Wucher, aber 12 Euro? Ich habe der Apothekerin aber ordentlich die Meinung aufgetragen, die lief dann rot an und versuchte verzweifelt, den unverschämten Preis zu rechtfertigen. Ich habe die natürlich nicht gekauft und die Apothekerin musste den Betrag wieder aus der Kasse ausbuchen, haha, das gönne ich der geldgierigen Ziege! Muss man denn heute überall über den Tisch gezogen werden? Ist denn nichts mehr heilig. Egal wo ich hinkomme, jeder will Geld von mir, und dann noch Beträge, die an Unverschämtheit kaum zu überbieten sind. Komme ich an einer Schule vorbei, sitzen dort Kinder und betteln angeblich für ihre Artgenossen in Afrika, komme ich in eine Einkaufsstraße, so hocken dort gleich dutzendweise Gestalten die mich anbetteln, gehe ich zur Besinnung in eine Kirche, wird dort gerade eine Kollekte für Lateinamerika eingesammelt, eile ich zum Bahnhof zerren drogensüchtige Gestalten an meiner Jacke und wollen Bares, ein paar Meter weiter versprechen billige Nutten für nur 10 Euro ein tolles Vergnügen, gehe ich in den Park, sabbert mich dort eine Schnapsleiche an für Geld und Zigaretten. Komme ich aufs Ordnungsamt in der Meldebehörde wegen meinem neuen Personalausweis, will man auch gleich wieder bare Knete von mir sehen, nebenan bei der Bußgeldstelle soll ich gleich 20 Euro lassen, weil ich ein Kaugummipapier weggeschmissen hätte u.s.w., was ist heute bloß los? Soll man sich am besten zu Hause einschließen, um diesem Forderungsterror von allen Seiten zu entgehen? Würde man denen allen etwas spenden, dann müsste man am Tag 48 Stunden arbeiten gehen, nur um deren Bettel-Wünsche zu bedienen.
Das ist schlimm, aber ich mache mir keinen weiteren Kopf darüber, jedenfalls nicht wirklich, sonst würde man in der heutigen Gesellschaft ganz schnell wahnsinnig und ein Fall für den Nervenarzt.
Ihr
Egbert Lappenkeuler
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Beitrag 2
Lappenkeuler - Brief / Email “Herbst” vom 05.10.2003
Zum guten Gruße!
Haben wir einen feinen Sommer hinter uns. Frau Megdelund hat mir gesagt, einer alten Bauernregel nach folgt einem solchen Prachtsommer ein bitterkalter, strenger Winter. Wir werden hohe Heizkosten bekommen und mit tropfender Nase viele Taschentücher verbrauchen. So bin ich jetzt noch mehr froh, nur eine sehr kleine Wohnung zu haben, die modern und gut isoliert ist. Das heißt, auch bei Kälte bekommt man es schön warm und es kostet trotzdem nicht allzu sehr viel Geld für die Beheizung. Manch einer wird sich warm zittern müssen vor lauter Kälte. Ich hatte es Ihnen schon manches mal gesagt, meine Finanzlage ist nicht die Beste, aber ich kann mich danach richten oder besser gesagt, ich habe es gelernt, mich danach zu richten. Das Leben unterstützt einen leider nicht immer dabei und fordert einen zum Zweikampf heraus. Nun ist mir neulich leider der Fernseher kaputt gegangen, ein Gerät was 13 Jahre alt war. Weil neue Sachen viel Geld kosten, was bei mir nun einmal nicht denkbar ist, muss ich mir was überlegen. Der Aldi hatte ein Gerät was neu ist für 150 Euro, das ist ein gutes Angebot. Ich habe meinen Sparstrumpf umgestülpt, leider kamen nur 98,57 Euro zusammen. Manch einer würde jetzt zum Sozialamt einen Antrag für einen neuen Apparat stellen, so etwas mache ich nicht. Nicht weil ich mich damit schämen würde, das wäre mir egal, aber meine Einstellung ist so, wenn ich kein Geld dafür habe, dann will ich nicht, dass die Allgemeinheit mir das bezahlt, sondern dann kann ich mir das einfach nicht leisten, bumms, aus und fertig! Na was denn? Telefonieren kostet Geld, deshalb bin ich mit meinem Motorroller diese Tage, als ich ohnehin unterwegs war, zu fünf oder sechs verschiedenen Radiogeschäften gefahren und habe anstatt telefonisch gleich persönlich gefragt, was die Reparatur von meinem alten Fernseher kosten würde. Keiner hat etwas genaues gesagt, aber jeder meinte nach der Schilderung und spätestens als ich gesagt habe, wie alt (13 Jahre) der Fernseher ist, dass es sich nicht mehr lohnen würde und der Apparat eher in die Sperrgutabfuhr gehört. Typisch heutige Gesellschaft, mit 13 Jahren gilt ein Gerät schon als Methusalem und man wird hämisch belächelt, mit einem Grinsen der haushohen Überlegenheit, so, als habe der Gegenüber gerade einen legendenhaften Sieg über einen errungen. Jedoch solches Gehabe lässt mich kalt, völlig kalt! Manchmal frage ich mich, ob es nicht diese menschenfeindliche Hasshaltung ist, die viele Leute heute in den Ruin treibt. Nur um dem Nachbarn oder dem Arbeitskollegen, den man vielleicht nicht einmal leiden mag, zu imponieren, kaufen sich viele Leute Dinge, die sie sich eigentlich gar nicht leisten können und obwohl sie eigentlich mit den alten Sachen noch völlig zufrieden gewesen wären. Daraus entsteht dann zwischen mehreren Kontrahenten ein richtiger kleiner Machtkampf, der in der Wohnstube oder auch auf der Strasse danach ausgetragen wird, wer das dickere Auto fährt oder im Urlaub, wer sich die teuerste Fernreise leisten kann. Blöd sind diese Leute. Trotzdem hilft mir das alles nichts, mein Fernseher bleibt kaputt und ich kann nichts sehen. Hören kann man noch damit, aber Frau Magdelund meinte, es wäre vielleicht nicht gut, den Apparat nur zum Hören einzuschalten wenn etwas anders kaputt ist, nähme der Apparat dann vielleicht noch mehr Schaden. Ich weiß es nicht und bin also von den Radiohändlern weiter gefahren zu einigen Secondhandläden und Pfandhäusern ob die etwas günstiges da haben, was noch funktioniert. Aber dort begegnen Sie heute genau dem gleichen Trend. Teure Luxuswaren können Sie im Doppelzentner kaufen, vielleicht sogar günstig, aber einfache, billige Dinge sind eher Fehlanzeige. So etwas haben die kaum noch im Programm. Will keiner haben, sagte mir ein Pfandhauschef, solche Sachen beleihen wir gar nicht mehr. Fernseher nur dann, wenn sie jünger als 2 Jahre sind und einen Mindestwert von 800 Euro als Neugerät hatten, also einen Aldifernseher würden sie nicht einmal nagelneu beleihen. Jetzt werden schon die Armen in 3 Klassen unterteilt und nur noch die, die als Armer einen gewissen Reichtum vorweisen können, bekommen etwas. Eine verrückte Welt. Im Secondhand - Meier hat der Inhaber gesagt, wenn ich ihm echte Goldkettchen bringe, bekomme ich dafür einen guten Fernseher der noch geht, weil Goldkettchen sind jetzt gefragt und er hat zu wenige davon. Dann bin ich im Flohshop auf einige Apparate gestoßen, ab 50 Euro und sie gehen. Die sind genau so alt wie meiner, aber sie gehen noch. Ich habe lange überlegt und mit dem Inhaber gehandelt, dann habe ich einen für 60 Euro gekauft und mit ihm die Vereinbarung gemacht, er bekommt meinen alten Apparat und berechnet dafür 10 Euro, so habe ich jetzt seit gestern für 50 Euro + Hergabe meines alten, defekten Apparats einen und kann wieder fernsehen. Er geht ganz gut, nur nach 3 Stunden riecht er etwas streng. Aber wann guckt man schon mal 3 Stunden am Stück Fernsehen? Ich eigentlich nie. Mal 1-2 Stunden, mehr habe ich früher vielleicht mal nur an Weihnachten geschaut, aber auch das nicht mehr, denn in den letzten Jahren konnte man besonders das Weihnachtsfernsehprogramm meistens völlig vergessen. Jetzt ist diese Sache geregelt und man glaubt sich in Ruhe, aber denkste, heute früh als ich mein Frühstück zubereitet habe, stürzt eine Schranktür vom Hängeschrank der Einbauküche ab, fällt komplett auf meine heißgeliebte alte Kaffeekanne, die zerspringt in tausend Teile, der natürlich schon fertig gebrühte Kaffee ergießt sich in meine kleine Wohnküche und eine Sauerei ersten Ranges entsteht. Ich weiß nicht, worüber ich mich mehr ärgern soll, darüber dass der Schrank kaputt ist, darüber dass die schöne Kanne hinüber ist oder über die Sauerei im Allgemeinen. Am meisten bedrückt mich doch wohl der Verlust der schönen Kanne, die ist jetzt wirklich weg, für immer. Den Schrank werde ich morgen selbst reparieren, soviel handwerkliches Geschick traue ich mir noch zu, die Sauerei habe ich gleich weggewischt und feucht die Wohnküche gereinigt, nur die Kanne kann ich nicht mehr retten. Die ist ex-saldo und das war's für dieses Teil. Ja, es ärgert mich, auch wenn es nur eine, wie Sie vielleicht sagen würden, blöde Kaffeekanne war, ein schmerzlicher Verlust. Ein Erinnerungsstück an viele Jahre des ersten Hausstandes, ein Teil mit besonderem ideellen Wert ist ein für alle Mal verloren. Materiell sicherlich nur noch 50 Cent wert, für einen dem die Zusammenhänge fehlen, die damit verbunden waren. Jetzt liegen ihre Überreste schon irgendwo auf einer fernen Müllkippe, da ich sie gleich entsorgt habe. Was kaputt gehen soll, das geht kaputt, ungeachtet davon, ob man an diesem Tag schon genug Leid ertragen musste. Zum inneren Aufbau habe ich mir auf einem Flohmarkt vier alte Bücher erstanden, ich meine, es sind richtig alte Bücher, eines sogar von 1862. Der Verkäufer wusste vielleicht gar nicht, was er da gutes hat, denn er ließ mir alle vier für 3 Euro. Zuerst wollte er mir nur drei Bücher zu dem Preis lassen, als ich dann aber den Rückzug begann und mich von seinem Stand abwandte, legte er das vierte Buch noch drauf. Im Winter werden diese Schinken genüsslich gelesen, bei einem sauberen Glas Rotwein in der gut geheizten Stube.
Gestern klingelte es an meiner Wohnungstür und was soll ich Ihnen sagen, der Herr Brinkhoff stand davor. Gut, Sie kennen den nicht, aber dazu muss ich sagen, Herr Brinkhoff war mal vor über 15 Jahren mein Nachbar, als ich noch ganz woanders wohnte, weit weg von hier. Nachbarn sind meistens problematische Menschen, mit denen man nicht richtig warm wird, wie man so sagt, jedenfalls ist das meine bisherige Lebenserfahrung. Die einzige Ausnahme ist Herr Brinkhoff gewesen. Anfangs waren wir etwas distanziert gegenüber, aber nach zwei Jahren haben wir gemeinsame Wellenlängen entdeckt und von da an ergab sich eine vorzügliche Nachbarschaft. Irgendwann verloren wir uns durch diverse Wohnungswechsel aus den Augen und ich war nicht schlecht erstaunt, als er gestern plötzlich vor meiner Tür stand. Es stellte sich heraus, dass er nun in Böblingen wohnt, was mit knappen 20 Kilometern nicht übermäßig weit von hier ist. So werden wir uns zukünftig wieder öfter sehen. Gestern haben wir das Wiedersehen etwas gefeiert, nicht wie Sie denken, mit Bier oder Schampus, das waren nie Dinge, die Herrn Brinkhoff erfreuen konnten. Der konnte sich tot saufen an Tee. Tee war seine Welt, ich mag Tee auch ganz gerne, habe aber keine wirklichen Teekenntnisse, im Gegensatz zu Herrn Brinkhoff. Der schlürft mal ein wenig und schmeißt Ihnen sogleich um die Ohren, um welche Sorten und Anbaugebiete es sich handelt und was bei der Zubereitung alles falsch gemacht wurde. Ferner vertritt er die Ansicht, dass nur Mörder Tee mit Milch trinken, er gibt dafür eine ganz eigenwillige Begründung, die ich jedoch aus dem Stegreif nicht mehr zusammen kriege. Brinkhoff ist älter geworden, viel älter. Er sieht aus wie sein eigener Opa. Es sind auch sicherlich sehr viele Jahre vergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, aber trotzdem ist er äußerlich überdimensional gealtert. Kaum noch Haare auf dem Kopf, dafür einen fast eckigen, grauen, sehr kurzrasierten Bart und eine runde Nickelbrille. Er wirkte schon etwas eigenartig, im Vergleich zu früher. Jünger werden wir alle nicht und wer weiß, wie ich heute auf meine Bekannten von damals wirke? Solche Ansichten kann man selbst vermutlich ohnehin nicht realistisch bewerten. Nachdem wir also einige Tassen Tee intus hatten und die wichtigsten Meilensteine unserer Bekanntschaft noch einmal Revue passieren ließen, bekam Herr Brinkhoff noch einen unbändigen Hunger auf Kuchen. Er hat dann Samstagnachmittag in einer Konditorei hier in meiner Nachbarschaft noch für 17 Euro Kuchenstücke gekauft, die wir dann gemeinsam in meiner Wohnung verzehrt haben. Ich habe nie Kuchen im Haus, außer vielleicht gelegentlich luftdicht verpackten Zitronenkuchen vom Billigsupermarkt, den gibt es dort manchmal für 1 Euro. Manchmal schmeckt er gut, manchmal habe ich mich aber auch schon geärgert, weil er wie alte Pappe schmeckte. Der wird in Russland oder dort hinten gemacht. Meistens habe ich aber so etwas gar nicht im Hause, so war es auch gestern. Nach unserem Kuchenschmaus war es dann schon nach 17 Uhr und Herr Brinkhoff musste zusehen, dass er wieder nach Böblingen kommt. Wie ich erfahren habe, hat er vor ein paar Jahren eine ehemalige ukrainische Prostituierte aus der Gosse gerettet und sie geheiratet. Er schwärmte in den höchsten Tönen von dieser Frau, so etwas Liebes gibt es hier gar nicht mehr, meinte er, weil sie so dankbar und im Vergleich zu allem was er früher an deutschen Frauen so hatte, so unkompliziert wäre. Zudem sei sie nicht zickig, wie es seine erste Ehefrau war. Ich weiß es nicht und kann mir keinen Standpunkt dazu bilden. Sie wissen ja, ich bin solo und bin etwas vorsichtig mit neuen Bekanntschaften, die in einer Ehe münden könnten, weil ich, so wie meine Lage jetzt ist, so gerade ohne Mühe über die Runden komme. Käme jedoch eine Frau hinzu, könnte es die Situation verbessern, aber auch ganz drastisch verschlechtern, wenn man Pech hat und ich habe oft Pech. Herr Brinkhoff ist dann wieder nach Hause gefahren. Können Sie schweigen? Dann verrate ich Ihnen ein kleines, lustiges Geheimnis! Also folgendes, im übernächsten Wohnblock wohnt eine ältere Dame, Frau Jaksche oder so. Die kann mich nicht leiden, warum weiß ich nicht, weil ich ihr bisher nie einen Anlass zu einer Abneigung gegeben habe. Jedes mal, wenn diese Giftspritze mich auf der Strasse antrifft, macht sie eine abfällige Bemerkung, etwa wie: na warten Sie wieder darauf, dass auch dieser Tag zu Ende geht?! - Oder ähnliche blöde Äußerungen. Sie will damit wohl auf meine längere Arbeitslosigkeit anspielen. Auch hat sie schon mal von mir verlangt, dass ich ihren Balkon reinigen solle, weil ich schließlich angeblich ausgerechnet von ihren Steuergroschen leben würde. Das habe ich natürlich nicht gemacht, sondern ihr freundlich erklärt, das ich nicht von ihr finanziert würde, sondern dass ich bereits Leibeigener von jemandem aus Berlin wäre. Daraufhin hat sie nur einen rot geschwollenen Kopf bekommen und ist murrend abgezogen. Solche Sticheleien versucht sie aber jedes mal, wenn wir uns irgendwo begegnen. Anfangs hat es mir nichts ausgemacht, aber in dieser häufigen Art wird es einem doch lästig. So sinnt man auf billige Rache. Meine Stunde war am letzten Mittwoch gekommen. Ich wusste definitiv, dass die blöde Schachtel bis Samstag zu Verwandten verreist war. Fast jeden Morgen um vier Uhr werden an einem Blumenladen in der Nähe zusammengebündelte Pflanzenreste von vergammelten Blumen und Schnittgut abgeholt. In das Mietshaus, in dem die schräge Jaksche ihre Mietwohnung hat, komme ich durch einen Seiteneingang, den kaum einer kennt, zu jeder Zeit unbemerkt und unbeobachtet rein. So habe ich mir am Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag morgens einige Bündel der vergammelten Blumen, die teilweise schon sehr unangenehm stanken, mit Gummihandschuhen abgeholt, und diese durch die Seitentür ins Mietshaus geschleppt und alle gemütlich und leise bei der alten Ziege in den Briefkasten gestopft. Der Kasten führt direkt nach innen in die Wohnung. Als die blöde Zauberflöte gestern Mittag nach Hause zurückkehrte und ihre Wohnungstür aufschloss zerstieb ein schriller Schrei, der noch bis hierhin schallend dröhnte. Ich habe anschließend bestimmt 2 Stunden lang pausenlos lachen müssen und hätte die ganze Welt umarmen können. Hier ist immer etwas los und ich habe meine Freude, dass die Jaksche nun endlich die Quittung für ihre widerliche Art bekommen hat. Für nun möchte ich das jetzt beenden und wünsche Ihnen noch viel Freude.
Ihr
Egbert Lappenkeuler
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