|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Auf dieser Seite finden Sie die beiden Lappenkeuler - Beiträge “Gewinn” und “Arbeitsdienst” aus dem Jahre 2004. Beide Textbeiträge können hier direkt gelesen werden oder auch als jeweils eigenständige PDF - Datei heruntergeladen werden.
|
|
|
|
PDF - Datei ”Gewinn” (27 KB) zum Download hier klicken
PDF - Datei ”Arbeitsdienst” (37 KB) zum Download hier klicken
|
|
|
|
Beitrag 1
Lappenkeuler - Brief / Email "Gewinn" vom 01.03.2004
Ein erstklassiger Gruß, der Herr!
Weitere Ereignisse folgten jüngst. Warum soll der Mensch nicht auch einmal Glück haben? Ich glaube, ich verstehe die Welt nicht mehr. In Gewinnspielen, Preisausschreiben und ähnlichen Aktionen habe ich niemals Glück gehabt. Außer Spesen nichts gewesen, könnte man sagen. Pech im Spiel, Glück in der Liebe, stimmt bei mir auch nicht. Manche Menschen erkennen nie, dass das Glück ihnen bei solchen Dingen nicht hold ist und spielen sich in den Ruin. Bei Preisausschreiben ist diese Möglichkeit geringer, weil es meist nur das Porto kostet, die auszufüllenden Werbekarten oder Zeitungsschnipsel zurück zu schicken. Ich habe mein Versagen im Glücksspiel jedoch früh erkannt und mindestens seit 10 Jahren an keinem Preisausschreiben mehr teilgenommen. Außer wenige Wochen vor Weihnachten prangte in einer Illustrierten, die ich kostenlos erhalte, eine portofreie Teilnahmekarte an einer Verlosung der Firma Toshiba. Ich habe angekreuzt, was ich von den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten auf drei Fragen für richtig hielt, meinen Absender drauf und beim nächsten Gang in die Stadt die Karte einfach unvermittelt mitgenommen und im nächsten Briefkasten platziert. Vermutlich wusste ich schon 2 Tage später nichts mehr davon, weil ich es nicht für wichtig genommen hatte, das war mehr ein automatischer Zeitvertreib aus Langeweile. Nun erhalte ich vor ein paar Tagen ein Anschreiben einer Vertretung der Firma Toshiba, dass ich eines von den 15 ausgelosten Notebook-Geräten im Einzelwert von 3.500 Euro gewonnen hätte. Nein, das kann nicht sein. Es würde meine goldenen Regeln brechen und die Lebenserfahrung von Jahrzehnten vernichten. Unbürokratisch wird angekündigt, dass man mir das Gerät in den nächsten Tagen zuschicken möchte. Prompt steht 2 Tage später der Paketzusteller vor der Tür und überreicht mir eine gewichtige Kiste mit einer bunten Banderole drum. Zuerst wusste ich nicht, ob ich mich zu diesem Zeitpunkt schon freuen sollte oder lieber nicht. Bestimmt ist nur Müll in der Kiste und jemand hebt mich gerade gewaltig auf seinen Arm. Nach einer halben Stunde Bedenkzeit und einer Tasse grünen Tees, öffne ich das Paket doch und tatsächlich kommt ein hochwertiges Notebook von Toshiba zum Vorschein. Funkelnagelneu, mit diversem Zubehör, wie einer Tragetasche, Akkus und vielen CD-Sachen. Wahrscheinlich klingelt es gleich an der Tür und jemand klärt einen gewaltigen Irrtum auf, denke ich, aber es klingelt nicht. So traue ich mich, nach Studium des beigelegten Glückwunsch- Schreibens, das Gerät auszuprobieren und es funktioniert. Es ist viel neues zu üben und deshalb schreibe ich Ihnen das hier noch von meinem normalen, bisherigen Computer, von dem ich Ihnen sonst auch immer schrieb. Irgendwie kann ich es immer noch nicht fassen und es ist, als ob ein Teil von mir noch am träumen wäre und in einer irrealen Welt schlummere, während zugleich der andere Teil jetzt hier an meinem alten Computer sitzt und Ihnen diesen Bericht schreibt. In den nächsten Tagen und Wochen habe ich nun genug zu lernen, zu prüfen und zu üben. Sogar etwas mit DSL steht dabei, aber ich kann mir einen DSL-Anschluss nicht leisten. Wie sich der Teufel vor dem Weihwasser hütet, so hüte ich mich vor hohen Telefonrechnungen. Mein Bemühen richtet sich derzeit stets darauf, nie höher als 30 Euro mit der Telefon- und Internetrechnung zusammen zu kommen. Das ist gar nicht so einfach. Telefonieren tu ich nicht viel, vielleicht 2 Gespräche pro Monat und die sind kurz und innerorts. Der Rest ist Grundgebühr und Internetbenutzung.
In der letzten Woche wurde ich zum Ginsterweg beordert. Eine Behörde unterhält dort in einem ganz normalen Wohnhaus eine Zweigstelle. Verwaltungskram bezüglich Sozialhilfeanträgen und Arbeitslosenmanagement und all solches. Eine nette Beamtin unterhielt sich fast eine Stunde lang mit mir, bevor sich für beide Seiten enttäuschend herausstellte, dass sie nicht für mich zuständig ist. Schade, endlich trifft man einmal auf eine wirklich nette Person in diesem klebrigen Verwaltungswust und dann ist sie nicht zuständig. Mich hatte sowieso gewundert, weshalb ich hier in diese entlegene Ecke zu einer Verwaltung sollte, sonst waren immer die in der Lindenspürstrasse für mich zuständig. Dort musste ich dann auch wieder hin. Ein Irrtum, hieß es. Beim Jonglieren mit den Verwaltungsfällen verlieren die Behördengäule zusehends die Übersicht, das ist mein Eindruck. In diesem Sinne ging es dann auch weiter. Die Politik will den Eindruck erwecken, irgendetwas anzupacken und zu verändern, dabei richtet sie nur mit ihrem blinden Aktionismus Schaden an und stiftet ein heilloses Durcheinander. In der Lindenspürstrasse schickte man mich jetzt in ein anderes Büro, die Zuständigkeiten hätten sich angeblich innerhalb des Hauses geändert. Ich dorthin, genervt, Warteschlange, aber es ging trotzdem erstaunlich zügig. Nach 15 Minuten war ich schon an der Reihe. Ein Schwerbehinderter, dem man hier eine Arbeitstätte geschaffen hatte, hatte meinen Vorgang zu bearbeiten. Freundlich, bestimmt und recht unverständlich nuschelte er einige Fragen daher, die ich alle nur im zweiten oder dritten Anlauf mit viel Phantasie deuten konnte. Nichts gegen den Mann, er konnte ja keineswegs dafür und ich finde es wichtig und richtig, dass man Behindertenarbeitsplätze schafft, daran gibt es für mich überhaupt gar keinen Zweifel, aber tut man dies ohne jedes Gespür für machbare Fähigkeiten oder nicht, dann wird es zur Farce. So mühten wir uns ab so gut es ging. Schlussendlich schüttelte der Mann den Kopf, entgegnete, dass ich ein Sonderfall sei und für derartiges sei seit letzter Woche eine Dienststelle in der Löwenstrasse in Degerloch zuständig, Negerloch sage ich stets scherzhaft, aber das sollte man heute lieber nicht mehr tun, es wird gerne falsch verstanden, und es heißt dann schnell, man sei ein Rassenfanatiker, was ich keinesfalls bin. Ich muss zugeben und mich selbst damit erniedrigen, dass dieser blöde Ausdruck mehr ein Produkt des primitiven Reimes ist, auf den ich mich da belustigt herablasse. Zurück zu Sache! Mein Hals schwoll an und mein Ärger wollte sich Luft verschaffen. Diese Schwachköpfe mit ihrer ständigen Umorganisiererei, man will damit nur die Leute tyrannisieren. Der hier sagte, ich müsse aber zwingend dorthin, es wird ein Stempel in einer Vorlagekarte benötigt, den gibt es ab sofort nur noch dort. Ich also mit meinem Motorroller dorthin. Ein Altbau mit eigenartigem Aussehen, so als habe Hinz und Kunz schon einmal daran herumgewerkelt. Alte Holzfenster wechselten sich wild mit neuen Plastikfenstern ab, Fugen nicht ausgefüllt, es wirkte so, als habe man krampfhaft versucht, den Verfall mit überaus provisorischen Flicken zu bremsen, dies aber nur inkonsequent an einigen auserwählten Stellen. Klar, jeder Besucher, der hierhin kommt, den beschleicht sofort der Eindruck, die arme Stadtverwaltung hat selbst kein Geld mehr und nun komme ich und will auch noch welches. Vielleicht hat man speziell deswegen die begonnene Renovierung mittendrin beendet, nur um dieses bemitleidenswerte Bild bei den Antragstellern zu erwecken. Mit den eher recht prunkhaften Bauten in der Lindenspürstrasse kann man das nicht. Dort sagt jeder, wer Geld genug zum Unterhalt dieser Glaspaläste hat, der kann auch paar hundert Euro mehr für uns abdrücken. Im Altbau in der Löwenstrasse verlor ich sogleich jede Orientierung. Als Orientierungshilfe glänzte zwar eine riesige Leuchttafel mit Hunderten von Etagen-, Büro- und Dienststellenschildchen und unzähligen mehrfach geknickten Pfeilen dahinter, die den kürzesten Weg dorthin ankündigen sollten, aber trotzdem bin ich gute 45 Minuten durch den Bau geirrt, mehrfach an der gleichen Stelle wieder auskommend. Dann bin ich entnervt in ein Büro rein zum Fragen. Eine Dame, na ja, Dame war's eher keine, mit einem nahezu eckigen Kopf, ein Gesicht wie ein Wurm, ein eckiger Wurm, eine ziemliche Ähnlichkeit mit einer grünen öffentlichen Persönlichkeit aus der Politik? Der Name ist mir entfallen, ich sage zu der auch immer der Wurm, weil sie wie ein Wurm ausschaut, wenn sie im Fernsehen wieder ungefragt eines ihrer Statements abgibt. Jedenfalls dieser Amtswurm hier in Degerloch zeigte sich entsetzt über meine profane Frage nach dem WO ist das Büro für Sozialabgleich. Welch ein Name, wer überhaupt diesen Einfall hatte, na ja. Sie sei nicht die Information und die Information sei beim Pförtner und in der Eingangsloge. Eingangsloge? So was habe ich hier nicht bemerkt, sonst hätte ich gewiss gleich dort gefragt. Sie wies mir den Weg zur Eingangsloge, nicht zum Büro für Sozialabgleich. Ich also dorthin, über unzählige Treppen, Flure, quer durch einen Kellerraum, am anderen Ende wieder hoch. Plumms, stand ich an einer ganz anderen Gebäudeecke, die ich bisher noch gar nicht wahrgenommen hatte, hin zur Ecke Rubensstrasse. Dort saß auch tatsächlich ein Pförtner oder genauer gesagt ein Pförtnerlein. Einen solch kleinwüchsigen Menschen habe ich beileibe noch nie zuvor gesehen. Auf einem Spezialstuhl thronte er hinter seiner Glasscheibe mit scharfem Blick. Die zehnjährige Tochter von meinem Bekannten aus dem Herdweg ist gegen dieses Pförtnerlein noch ein wahrer Riese und könnte gelassen auf ihn herabblicken und die ist schon deutlich kleiner, als eine durchschnittliche Zehnjährige. Er kann ja nichts dafür, aber das ist auch wieder so ein Fall, bei dem man zwanghaft Behinderte irgendwohin setzt ohne richtig zu überlegen. Ich frage also diesen Zwergpförtner, wo denn hier das Büro für Sozialabgleich sei. Das ist neu hier, beteuert er mit krächzender Stimme, die an einen Raben erinnert, die sind im 3. Stock im Gebäudeteil D wie Dora im Zimmer 318 bis 322. Fahren Sie hier mit dem Aufzug gleich hoch auf die 3 und dann an den Flurkreuzungen einfach 2mal rechts ab und fast bis ganz zum Ende, sie sehen dann schon, sagte er. So hab ich das dann gemacht. Dort angekommen klopfte ich an die Tür. Als nach viermaligem, deutlichen Klopfen immer noch keine Reaktion kam, trat ich einfach ein. Bumms, ein leeres Büro, kein Schwein weit und breit zu sehen. Aber der Zwerg hatte ja gesagt Zimmer 318 bis 322, also probier ich es im Nachbarzimmer mal, das trägt die Nummer 320. Dort war abgeschlossen. Schließlich bei 322 dann einen angetroffen. Ein normal aussehender Herr, mit typischem Kämmererblick. Ein kurzes und sehr leis-gedehntes "Gutennnn Tag" kam von ihm, dann folgte, noch bevor ich etwas sagen konnte "Sie wollen Geld?" Darauf meinte ich "Guten Tag, wer will das nicht?" "Eben!" sagte er jetzt recht laut. Dann zeigte ich ihm die mitgebrachte Verwaltungskarte für Sozialbezüge, die er dann aufmerksam mehrmals von oben bis unten durchlas. "Ab nächstem Monat kriegen Sie 53 Euro weniger!" sagte er bestimmt, leise und sachlich. Mein Kopf schwoll an und es glühte in mir. "Was soll das denn heißen?", fragte ich ihn. "Es ist wie es ist, guter Mann" , sagte er, "sie kriegen nicht mehr mehr. Die Richtlinien haben sich geändert und Sie fallen unter die geänderten Richtlinien." Diverse Unmutsbekundungen kamen über meine Lippen. Er winkte distanziert mit beiden Händen gleichmäßig ab, gerade so, als wolle er ein langsam auf sich zurollendes Fahrzeug abbremsen. "Habe ich die Richtlinien gemacht? Nein, ich habe sie nicht gemacht!", beteuerte er, "mehr Geld bekommen sie erst wieder, wenn sie mindestens 6 Monate ununterbrochen einer geregelten Arbeit nachgegangen sind und der Lohn dafür mindestens 35 % höher lag, als ihre jetzige Sozialhilfe." schob er noch nach. "Hören Sie, wissen Sie, wie viele Jahre ich schon keinen richtig regelmäßigen Job mehr habe??", habe ich ihn wütend gefragt. "Weiß ich alles. Glauben sie, sie wären der Einzige? Sie sind einer von zig Tausend in dieser Stadt und einer von zig Millionen in diesem Land! Wären nur sie es, ach was ginge es uns gut, wir würden ihnen glatt das Doppelte und Dreifache geben, wenn damit alle anderen wieder in Lohn und Brot stünden. Sie können natürlich Beschwerde einreichen, gegen diese Kürzung. Tun sie das. Aber dann müssen sie auch damit rechnen, anschließend bei einer völligen Neuberechnung dessen, was ihnen zusteht, noch wesentlich schlechter da zu stehen und möglicherweise werden ihnen dann sogar 120 oder gar 150 Euro gestrichen, einfach weg gekürzt! Erst letzte Woche hatten wir einen ähnlichen Fall, dem haben sie nach der Beschwerde sogar 270 Euro gekürzt. Sie müssen wissen was sie tun, aber laden sie nachher ihren Ärger bitte nicht bei mir ab. Ich habe sie gewarnt.", mulmte er bitter. Wissen Sie, mit meinem Einkommen kam ich immer gut hin, es war keineswegs üppig, aber ich habe mich darauf eingerichtet und ging aus jedem Monat plusminus Null heraus. Ziehen die Schädel mir jetzt 53 Euro ab, dann habe ich jeden Monat 53 Euro Miese, das klappt nicht, das kann gar nicht klappen. Einerseits freut man sich über den schönen Notebook-Gewinn und an der anderen Ecke dann so etwas. Jede weitere Diskussion über dieses Thema lehnte der Insasse von Büro 322 ab, er suchte einen grünen Stempel heraus, stempelte damit in grüner Farbe meine Karte ab und ich konnte gehen. Alles Schweinerei, dachte ich noch, als mich im Treppenhaus des Amtes ein alter Bekannter anrempelte. Wir beredeten kurz die neuen Probleme und er bot mir an, einen Nebenjob in einem Marktcenter anzunehmen. Die suchten händeringend noch Leute dafür und er mache das schon seit 2 Jahren. Die simple Aufgabe, täglich ab 19 Uhr auf dem weitflächigen Parkplatzgelände des Marktes die stehen gebliebenen Einkaufswagen zusammen zu suchen und in einen Schuppen neben dem Markt zu fahren. Das geht auch tageweise, z.B. nur Donnerstag und Freitag, es brächte pro Tag einheitlich 25 Euro, egal ob man nur einen verlassenen und vergessenen Einkaufswagen einzusammeln hat oder ob es derer 150 sind. Im Schnitt wären es pro Tag aber nur 20 Stück, weil die Leute schließlich ihren Euro im Münzkasten des Wagens wiederhaben wollen und den gibt's bekanntlich nur, wenn man die Drahtkutsche wieder selbst zurück bringt. Die Euros beim Rückbringen, falls noch welche drin stecken, kann man auch behalten. So kommt man im Mittelwert pro Tag auf etwa 30 Euro insgesamt, meinte er. Würde man das an rund 20 Werktagen machen, so wären es pro Monat etwa 600 Euro Zubrot für täglich etwa 1 bis 1,5 Stunden Arbeit, klingt eigentlich nicht schlecht. Ich werde mir das einmal überlegen, vielleicht mache ich das oder auch nur an 10 Tagen, dann wäre es ja auch schon ein schöner Zusatzbeitrag.
Die Welt ist ein zäher Kaugummi, an dem viele ziehen und in den schon viele hineingetreten haben.
Ihr
Egbert Lappenkeuler
|
|
|
|
|
|
|
|
Beitrag 2
Lappenkeuler - Brief / Email "Arbeitsdienst" vom 03.03.2004
Ein feinguter Gruß!
Schon wieder ergreift einen das Schicksal auf unerbittliche Weise. Erhalte ich schon Montag in aller Frühe ein Schreiben. Schon der Briefumschlag verheißt nichts Gutes, prangt doch oben links ein blauer Stempel "Sozialdienste der Stadtverwaltung". Wenn die schon schreiben, denke ich mir, wird das nichts Positives sein. Vermutlich bestätigt man mir jetzt schriftlich, dass ich künftig 53 Euro pro Monat weniger erhalte. Sie wissen von meinem letzten Anschreiben erwähnte ich das. In dem Umschlag entblättert sich jedoch ein mehrseitiges Blattwerk, teils in verschiedenen Farben, rose, grün, gelb und weiß, diverse Durchschläge und davor ein zweiseitiges weißes Schreiben. Man erklärt mir, dass die Stadt aus Kostengründen nunmehr verstärkt dazu übergeht, Sozialhilfeempfänger, Bezieher von Arbeitslosengeld- oder -hilfe und dergleichen zu kommunalen Pflegeaufgaben und ähnlichen Dingen heranzuziehen. Dadurch könne der eigene Haushaltsetat entlastet werden, da ein kluger Kopf errechnet haben will, dass so bei den Stadtwerken jährlich mindestens 128 Personalposten völlig eingespart werden können. Diese Personalposten würden laufende Lohnkosten erfordern, wogegen die Sohis (so nenne ich Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose u.ä.) fast kostenlos arbeiten. Ganz kostenlos auch nicht, diese Blöße will sich die Stadt auch nicht geben, die so zur Arbeit getriebenen erhalten für jede Stunde, die sie so im öffentlichen Dienst wirken, zusätzlich zu den Sozialvergütungen 3 Euro. Davon gehen aber sogar noch Steuern ab, so dass den Sohis anschließend davon noch etwa 2 Euro bleiben. Ein weiterer hochgelobter Vorteil wäre der, dass die Sohis auf diese Weise wieder ein wenig mit der Arbeitswelt vertraut gemacht würden und dadurch fit für den Arbeitsmarkt würden, haha, selten so gelacht. Soweit so gut oder besser so schlecht. Weil man zugleich auch Portokosten sparen möchte, hat man mit diesem Schreiben auch gleich eine persönliche Verfügung (die bunten Blätter) beigelegt, mit der ich mich bereits zwei Tage später bei der Außenstelle Gallenklinge in der Zamenhofstraße, pünktlich 8 Uhr morgens melden soll. Dort würde man mir, weitgehend unter der Berücksichtigung meiner Fähigkeiten, entsprechende Arbeiten zuteilen. Als wäre es für mich wie ein enttäuschender Zusatz, fügt man noch an, dass ich keinerlei Anspruch darauf habe, dort täglich in Vollzeit, also 8 Stunden am Tag, eingesetzt zu werden. Oftmals wären diese Einsätze nur vereinzelt und meist nur halbtags. Dies wäre aus Gründen der Gleichberechtigung so, damit auch andere Sohis die Chance hätten, sich an dieser feinen Arbeit zu beteiligen. Trotzdem folgt dann der Zusatz: "Sollten Sie ohne triftigen Grund der Aufforderung fernbleiben, so können Ihre Sozialbezüge gekürzt oder ganz ausgesetzt werden...." Triftige Gründe zum erlaubten Fernbleiben wären vor allem gesundheitliche, die vom Arzt bestätigt sein müssen oder andere Behördentermine sowie existenzielle Probleme anderer Art. Da ich aus diesen Kategorien derzeit nichts glaubhaft machen konnte, musste ich hin. Man fährt von hier aus mit dem Motorroller etwas über 10 Minuten dorthin, also kein übermäßig weiter Weg. Um diese Zeit herrscht ein ziemlicher Berufsverkehr, aber der drängt mehr in die Stadt, während von mir aus betrachtet die Zamenhofstraße außerhalb liegt. Zudem wähle ich die ruhigere Reinsburgstraße in ihrem letzten Drittel am großen Steueramt vorbei zur Anfahrt. Die meisten Berufspendler fahren nur die ersten beiden Drittel der Reinsburgstraße und biegen dann auf die Schwabstraße und dort auf die Rotenwaldstraße ab. Die Rotenwaldstraße nutze ich jedoch nur auf einem minimalen Reststück, um von dort zur HerderStraße zu gelangen. Über eine Spitzkehre an der Herbsthalde kann man dann von der Herderstraße direkt auf die Zamenhofstraße einbiegen. 5 Minuten vor 8 stehe ich an der angegebenen Adresse in der Zamenhofstraße vor der Tür. Alles ist verschlossen, man sieht eine breite Hofeinfahrt, im Gegensatz dazu hängt daneben ein unscheinbares, fast verschwindendes, kleines weiß- schwarzes Schild "Bauhof IV / Außenstelle 3". Es erscheinen noch einige Sohis, die sich wie ich hier melden sollen und stehen ebenso dumm wie ich vor dem Tor. Einige schimpfen bereits lauthals, einer ist sternhagelvoll und stinkt 100 m gegen den Wind nach billigem Fusel oder fast schon nach Spiritus. Der hat vielleicht absichtlich ein Bad darin genommen, um gleich wieder nach Hause geschickt zu werden. Ein anderer sieht aus, als hätte er seit der Wiedervereinigung nicht mehr gebadet. Punkt 8 Uhr kommt ein weißer VW-Golf vorgefahren, parkt neben uns, ein völlig in Jeans gekleideter halbgrauer Herr steigt aus und geht in die Pförtnerbude neben der breiten Einfahrt. Er öffnet das breite Schiebegittertor und über einen Lautsprecher bittet er uns, in den Innenhof zu gehen, wir würden dort gleich abgeholt. Ein Leidensgenosse zetert schon: "Werden wir gleich ins Krematorium abtransportiert?" "Nee", blökt ein anderer, "zuerst geht's für'n paar Jahre ins städtische Arbeitslager!" Der Pförtner schüttelt grinsend den Kopf, während er telefoniert. So warten wir im Hof und es wird uns langsam recht kalt hier, weil auch das Wetter in der vergangenen Woche nicht gerade mild war. Mit quietschenden Reifen kommt jetzt ein neuer Mercedes auf den Hof gefahren. Zwei Eierköpfe steigen aus, es sind wirklich Eierköpfe mit 90 % - Glatze und absolut eiförmigem Schädel. Einer geht in das angrenzende Bürohaus, der andere kommt auf uns zu. Schmelzle (oder so ähnlich) mein Name, sagt er. "Sie haben ja alle das Schreiben vom Sozialdienst bekommen, deshalb sind Sie hier", sagt er, "ich glaube da fehlen aber noch ein paar. Mir wurden 16 Leute eingeteilt, wenn ich das recht besehe sind das hier höchstens 7. Sind wohl wieder etliche Drückeberger gewesen. Kommen Sie bitte erst mal mit rein." Er führt uns in das nebenstehende Bürohaus, in dem vorher der andere Glatzkopf verschwunden ist. Durch einen schäbigen Flur bringt er uns in einem riesigen saalähnlichen Raum mit sehr hoher Decke unter. Um paar vergammelte Tische, die sicherlich schon 50 Jahre alt sind, sollen wir uns setzen. Dann verschwindet er kurz, um mit einer Liste wieder zu kommen. Von der Liste liest er 16 Namen vor, wovon tatsächlich nur 7 anwesend sind. Der Pförtner kommt nach fast einer Stunde und bringt einen achten, der sich zuvor auf dem Weg hierher verlaufen hatte, der ist so schmal, als würde er jeden Moment durchbrechen. Zusätzlich sagt der Pförtner, ein Herr Froppe hätte angerufen und gesagt, dass Schmelzle auf ihn warten soll, er habe ein Sonderprogramm. - ??? - Sonderprogramm??? "Aha, Vergasung!", ruft der eine, der auch vorher im Hof schon gemault hatte. Dem Schmelzle klappt die Kinnlade runter und er sagt: "Um Gottes Willen, Herr Laschke, Sie sind doch Herr Laschke? - Wie können Sie so was sagen? Das ist doch dummes Zeug und so was will ich hier nicht mehr hören!" "Von wegen! Alles schon mal da gewesen!", brüllt dieser Laschke. "Lassen Sie den Unfug! Sonst kriegen wir gewaltigen Ärger miteinander. Sie beleidigen damit die ganze Stadt und das was wir hier machen, das dient auch Ihnen und allen Bewohnern der Stadt. Weitere primitivdumme Äußerungen dieser Art nehme ich persönlich", sagt der Schmelzle. Es herrscht jetzt Ruhe im Saal. Der Schmelzle wandert wie ein nachdenkender Professor mit auf dem Rücken verschränkten Händen langsam und bedächtig durch den Raum, schaut dabei mehrmals aus dem Fenster, als er plötzlich sichtlich aufmerksam wird und rausläuft. Er kommt dann mit einem kleinen, faltenzernarbtem Herrn in feinem Zwirn zurück, das ist wohl dieser Froppe. Froppe ist wohl ein hohes Tier bei der Stadtverwaltung, der uns einen kurzen Vortrag hält, was wir hier sollen. Wir nennen ihn nur noch Lapplederle, weil er so ein zerfurchtes Ledergesicht hat. Er erzählt uns nichts neues, aber mit verständlichen Worten wird spätestens jetzt jedem klar, worum es hier geht. Wir sollen zu kommunalen Arbeitseinsätzen herangezogen werden. "Um keine Zeit zu verlieren", fügt Schmelzle hinzu, "fangen wir damit gleich an. Meine Herrn, ich werde Sie gleich einzeln ins Büro rufen und dann jedem eine Arbeit zuteilen, bitte gedulden Sie sich solange hier. Jeder wird aufgerufen." So gammeln wir in dem Saalraum herum. Zuerst wird ein Herr Wiesendanger hereingerufen. Er humpelt ins Büro, sichtlich genervt, und murmelt dabei böse Worte. Kurz danach schallt Streitgebrüll aus dem Büroraum, Wiesendanger kommt raus oder wurde eher rausgeworfen und verschwindet. Jetzt kommt wohl der nächste dran. Jedoch es tut sich nichts. Nach fast einer Stunde kommt Schmelzle in den Saal und erklärt uns, dass wir schon ein wenig kooperativ sein müssen, sonst ergehe es uns, wie Wiesendanger, der nun zunächst für 2 Monate keinen Cent mehr bekommt, sofern er nicht vorher zur Vernunft kommt. Ein Gemurmel macht sich breit, ich schließe mich jedoch nicht an, bleibe ruhig auf meinem Platz sitzen. "Herr Tschirdewan bitte!", ruft es aus dem Flur und der zu spät gekommene Schmalhans erhebt sich. Kaum ist der im Büro verschwunden, kommt Schmelzle in den Saal geeilt: "Meine Herren, wer von Ihnen hat einen gültigen Führerschein Klasse C 1, frühere Klasse 3 würde auch genügen, und traut sich das Fahren eines Kleinlasters unter 2,8 Tonnen zu?" Zuerst meldet sich keiner. Ich wühle in meiner Tasche, die neueren Führerscheinbezeichnungen kenne ich nicht auswendig. Auf meinem steht B und C1, also dürfte ich. Zögernd melde ich mich. Ich denke mir, bevor man mich zum Fegen von Hundehaufen an Wegen oder so was verdonnert, da fahre ich lieber Auto. Schmelzle ist hocherfreut, soviel Initiative hatte er anscheinend von keinem mehr erwartet. Er zieht mich fast hinter sich her ins Büro. Dort hockt noch der Schmalhans Tschirdewan mit muffeligem Gesicht herum. "Ja, Sie beide wären unser Ideal-Team", meint Schmelzle, "Herr Tschirdewan ist von Beruf Anstreicher, hat aber leider keinen gültigen Führerschein, Sie Herr Lappenkeuler waren früher einmal Hausmeister, was ja auch eine universelle Sache ist, und haben vor allem einen gültigen Führerschein. Meine Idee ist, ich mach sie beide zu einem Team. Da hätten wir einige schöne Aufgaben für Sie. Besser als alles andere, was wir hier sonst zu bieten haben. Ihr Einsatz soll sich auch für sie lohnen." Tschirdewan, den ich der Einfachheit halber ab sofort nur einfach Tschibo nenne, weil ich wohl jetzt viel mit dem zu tun habe, er nennt mich übrigens inzwischen aus ähnlichen Gründen Lappi, fragt: "Was sollen wir denn machen?" Schmelzle telefoniert herum. Nach ein paar Minuten kommt ein Herr Bäuerle, stellt sich vor und bittet uns, ihm zu folgen. So machen wir das. Wir laufen dem nach, draußen über den Hof, in eine alte Halle. Er öffnet die Tür, dort stehen ein paar orangefarbene Pritschenwagen vom städtischen Bauhof. Bäuerle verschwindet in einer Kammer, kommt mit einem Autoschlüssel zurück und treibt uns zu einem älteren, kleinen Mercedes-Pritschenwagen mit halber Plane über der halben Ladefläche, der sicherlich schon über 15 Jahre Dienst auf dem Buckel hat. "Desch isch ihr neuer Arbeitsplatz", sagt Bäuerle freudestrahlend, "jedenfalls ab und zu." fügt er noch an. Auf der Ladefläche befindet sich unter dem mit Planen abgespannten Teil eine dicke Holzkiste, darin ein Stromgenerator, eine Schleifmaschine, ein Kompressor mit Farb- Spritzgerät, diverse Halterungen mit Pinseln, Farben, Lösungsmitteln, Drahtbürsten und all solches Zeug. Dann lässt er sich von mir meinen Führerschein zeigen und fotokopiert den in der Kammer. "Allesch muss seine Ordnung haben!", sagt er. Es habe wohl Fälle gegeben, in denen Leute gar keinen gültigen Führerschein hatten, nur so könne man belegen, dass zum Zeitpunkt der Übergabe ein solcher vorgelegen habe. Dann musste ich noch einen Wisch unterschreiben, dass ich bereit bin, mit meiner Fahrerlaubnis ein städtisches Fahrzeug zu führen und zudem von der Stadt jährlich zu kostenlosen Fortbildungskursen zum Führen eines Dienstfahrzeuges eingeladen werde. Ein weiterer Wisch war zu unterschreiben, dass ich das Fahrzeug Nr. 3069 übernommen habe und dass ich mich verpflichte, Beschädigungen an dem Fahrzeug stets sofort zu melden und dass ich für die Verkehrssicherheit des Fahrzeuges verantwortlich bin, b.z.w. beim Entdecken von Mängeln sofort das Fahrzeug der städtischen Vertragswerkstatt übergebe. Bäuerle reckte mir nun den Autoschlüssel rüber und forderte mich auf, den Wagen zu starten und damit zuerst vorsichtig einige Runden zur Einübung nur auf diesem Bauhofgelände zu drehen. Nun musste ich zugeben, dass ich schon mindestens seit 8 Jahren kein Auto mehr gefahren habe und davor auch nur kleinere PKW. Bäuerle zuckte mit den Schultern, setzte sich neben mich auf den Beifahrersitz und meinte kameradschaftlich: "Ach des geht schon. Ich lass sie zwei Tag hier im Hof üben, so schwer isch des nicht und der 208 D ist gutmütig, der brennt ihnä nicht durch." 208 D nennt sich der Fahrzeugtyp von Mercedes wohl. Zuerst bekam ich ihn aber schon gar nicht ans Laufen. Das lag aber an mir. Ein älterer Diesel wie der sollte wohl vorgeglüht werden, ich hatte zuvor noch nie ein Dieselauto gefahren. Zudem hatte ich Angst, das Fahrzeug aus der Halle zu fahren und dabei gleich am Einfahrtstor anzuecken, weil die Abmessungen mir gigantisch vorkamen, obwohl er einem, wenn man daneben steht, gar nicht groß vorkommt. Aber wenn man Jahre lang gar kein Auto gefahren ist und zuvor nur Kleinwagen, dann kommt einem wenn man drin sitzt so ein Ding wie ein Hochseefrachter vor. Bäuerle hat ihn dann gestartet und auf den Hof gefahren. Dort habe ich dann tatsächlich zwei Tage lang mit ihm von morgens 8 bis 11 Uhr geübt. Danach konnte ich jedes Mal wieder nach Hause, kein Arbeitseinsatz. Tschibo hatte seinen Spaß daran, weil er solange gar nichts machen brauchte, außer zusehen. Aber nach zwei Tagen hatte ich die "Pritsche" wie wir unseren 208 D jetzt schon nannten wenigstens soweit im Griff, dass wir uns damit auf die Straße trauen konnten. Die hatten uns schon bewusst diese ältere Maschine gegeben, weil die im Gegensatz zu den modernen mehr für die gemütliche Gangart zu haben ist, und das ist am Anfang schon besser. Trotz seines Alters schien die Pritsche aber noch sehr rüstig zu sein und zeigte keine Macken. 340.000 km zeigte die Tachouhr zwar schon und Bäuerle erklärte stolz: "Erschte Maschin noch!" Der war sichtlich froh, in uns beiden einen vermeintlich brauchbaren Arbeitstrupp gefunden zu haben. "Wasch mer sonst so kriegt, ich könnt euch da wasch erzähle...", sagte er öfters. Dann wurden wir eingeteilt, ein Vorarbeiter namens Quatländer fuhr mit seinem modernen Mercedes-Sprinter-Bus voraus, in die Mönchhaldenstraße, die heißt wirklich so, obwohl dort keine Mönche auf Halde liegen, die verläuft direkt neben der Eisenbahnstrecke nach Vaihingen. Dort neben der Bahnstrecke befinden sich stellenweise stabile Geländer, die aus geschweißten Eisenrohren bestehen. Die wurden vor vielleicht 50 Jahren errichtet, damit keiner unbefugt von der Straße über den Bahndamm und über die Gleise laufen kann. Der Quatländer erzählte, früher habe die Bundesbahn diese Geländer in Ordnung halten müssen, aber seit einigen Jahren müsse die Stadt dies tun, weil sich rechtliche Bestimmungen verändert haben. Wir hielten an einem kleinen Platz neben einem solchen Geländerstück und unsere Aufgabe soll nun darin bestehen, die Stellen, an denen die einzelnen Rohre an die Stützen geschweißt sind, mit der Schleifmaschine zu entlacken und zu entrosten, dann neu grundieren und neu lackieren. Die restlichen Rohrstücke sollten hingegen nur auf Roststellen abgesucht werden und dann nur diese einzelnen Roststellen ebenso ausgebessert werden. Sollten wir dabei größere Durchrostungen finden, so müssen wir im Bauhof anrufen, dann kommt ein Schweißtrupp raus, der das beseitigt, indem er ein neues Stück Rohr einschweißt oder einen Flicken aufschweißt. Um den Kontakt zum Bauhof nicht abreißen zu lassen ist jedem Wagen ein städtisches Handy mit Halterung zugeteilt. Meine Aufgabe besteht nun vornehmlich im Fahren und der Hilfe bei der Entrostung, während Tschibo dann die ganzen Lackierarbeiten übernimmt. Es gibt einen Stundenplan, unsere Einsätze sind nicht täglich, sondern jeweils Montag, Dienstag und Donnerstag von 8 bis 12.30 Uhr sowie Mittwochs von 10 bis 12 Uhr. Freitags und Wochenende ist frei. Pro Stunde gibt es besagte 3 Euro brutto zusätzlich zur Sozialhilfe, die davon unbeirrt weiter fließt. Weil es diese Tage aber so schweinisch kalt war, erkannte man, dass man uns diese Außenarbeit nicht zumuten wollte. Es gab einen zwischenzeitlichen Sonderauftrag, einmal in Botnang an einem kirchlich-städtischen Jugendheim in der Lortzingstraße waren Metallstreben einer Innenwand neu zu lackieren und dann sind wir jetzt seit längerem schon rüber übern Neckar in einem Außenposten des Bauhofes in der Strümpfelbacher Straße die Decken einer Fahrzeughalle von innen neu am anstreichen. Bis dass wir damit fertig sind, ist sicher wieder wärmeres Wetter und wir können dann zurück in die Mönchhaldenstraße zu unseren Eisenbahngeländerrohren. Der Quatländer kommt uns zwischendurch manchmal kontrollieren, ab und zu auch der Bäuerle, mit dem ich es besser kann, der aber noch ein paar Hausnummern über dem Quatländer steht. Der Tschibo kommt mit dem Quatländer besser zurecht. Ich finde der Quatländer ist ein bisschen doof und einfältig, aber man kann trotzdem einigermaßen gut mit ihm auskommen. Egal wo wir beide auftauchen, der überschmale Tschibo wird immer gleich von allen bedauert, fehlt nur noch, dass Omas auftauchen und versuchen ihn zu füttern. Dabei frisst der mehr als ich, aber er bleibt schmal. Der mampft jeden Morgen schon um 9 Uhr zwei große 500 g- Dosen Quark mit Schnittlauch, plus ein Döschen Fleischsalat, plus eine Flasche Bier plus 3 Butterbrote. Bei diesem Mix am frühen Morgen würde ich kotzen. Ich bin froh, wenn ich mein Körnermischbrot mit Käse und eine Thermoskanne Kaffee oder Tee reingewürgt kriege. Ab Mittag trinke ich aber nur noch Limo oder Sprudel, weil ich sonst nachts nicht mehr schlafen kann. Sehen Sie, so ergeht es einem heute. Bevor man sich versieht, steht man unerwartet wieder in Lohn und Brot, obwohl das so nicht geplant war. Seit anderthalb Wochen läuft das jetzt so und ich habe mich sogar schon einigermaßen daran gewöhnt. Zweifelsfrei wäre es mir lieber, ich bräuchte hier nicht hin, könnte zu Hause bleiben, aber ich möchte nicht riskieren, dass die Burschen mir 2 Monate oder länger die Sozialhilfe sperren. Am Schluss bin ich doch froh, mich bei der Nachfrage nach dem Führerschein gemeldet zu haben, denn wie ich sehen konnte, geistern einige derer, die am ersten Tag mit in dem Saal waren, heute als Hilfs - Straßenfeger durch Stuttgart, ein anderer kann öffentliche Klosetts reinigen, gut und ein weiterer ist als Aktenträger in dem Steueramtskomplex an der Reinsburgstraße gelandet. Ich habe das mal durchgerechnet, wenn das mit den Einsatzstunden dort so weitergeht, dann müsste ich pro Monat dadurch etwa 168 Euro dafür mehr bekommen, 53 Euro wurden mir zuvor abgezogen, bleibt ein Plus von 115 Euro minus Steuerpauschale, es wird also ein Plus von vielleicht 80 Euro bleiben. So gesehen ein schlechter Coup für 80 Euro Reinverdienst pro Monat etwa 56 Stunden arbeiten. Aber leider kann man es so nicht rechnen, weil man ohne die Teilnahme an dieser Zwangssache mindestens 2 Monate lang gar nichts mehr bekommen würde. Die Zeiten werden härter, das merkt man ganz deutlich. Soweit für jetzt. Ich weiß nicht, ob die Situation in Ihrer Heimatstadt auch so angespannt ist, aber scheinbar versucht man hier nun alle Möglichkeiten auszureizen, die die Gesetzeslage bietet. Sowohl der Schmelzle und auch der Bäuerle haben unseren Zweimanntrupp schon öffentlich als positives Beispiel gelobt, was mir eigentlich schon sehr peinlich war, denn dann bekommt man von den anderen Sohis gleich so einen negativen Makel aufgepresst, wie ein Verräterschwein. Die ganze Sache hat sich schließlich so entwickelt und ich denke, wir beide haben das Beste aus dieser Situation gemacht, es ist aber nicht auf unserem eigenen Mist gewachsen. Wenn wir nun in der Öffentlichkeit so als Vorzeigebeispiel präsentiert werden, wirkt es für die anderen Sohis gerade so, als ob wir selbst diesen Vorschlag gemacht hätten, um anderen mit positivem Beispiel voran zu gehen. Ich wäre ja trotz dieser Lobhudelei lieber zu Hause geblieben, fürs gleiche Geld oder sagen wir mal für das alte Geld, zur Not auch selbst für die 53 Euro weniger, aber diese Wahl hatte ich ja gar nicht und öffentlich könnte ich das ja auch nur schlecht so sagen. Damit würde ich Schmelzle und Bäuerle in den Rücken fallen, das will ich auch nicht, denn sie tragen ja dazu bei, dass wir wenigstens einen erträglichen Job zugewiesen bekommen haben. Ein Sprecher der Stadtverwaltung namens Heger hat sogar schon anklingen lassen, ob unser "Vorzeigeteam" möglicherweise später sogar fest bei der Stadt übernommen werden könne, da im öffentlichen Bereich schließlich viele Arbeiterposten unbesetzt wären, weil sie in den Vorjahren schon aus Finanzgründen übermäßig abgebaut wurden. Das würde uns beiden dann die Sozialhilfe rauben, dafür bekämen wir dann ungefähr 1000 bis 1100 Euro netto, was natürlich mehr ist. Aber dafür müssten wir dann nicht 56 Stunden im Monat sondern 40 Stunden pro Woche arbeiten, was mir nun wirklich keine Jubelschreie entlockt und daran hätte ich, trotz des ansonsten akzeptablen Jobs, kein wirkliches Interesse.
Das Leben ist wie eine Betonmischmaschine, ständig geht's rund.
Ihr
Egbert Lappenkeuler
|
|
|